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Orthodoxer Kirchenbau Russland Kuppeln gold und blau
© Bild:123RF Bildagentur; Alexey Kostin

„Schutzmacht“ Russland, die Ukraine und wir

Ein Sieg gegen die Osmanen und ein Friedensvertrag im Jahr 1774 begründete den Anspruch Russlands, die „Schutzmacht“ am Balkan zu sein. Über die Wirkmächtigkeit von Geschichte und die historischen Interessenkonflikte von Großmächten. Und warum Österreich daran beteiligt ist.

Prof. Harald Heppner | Wissenschaft | 4. říjen 2024

Die am 21. Februar 2022 verbreitete Nachricht, Russland greife auf breiter Front die Ukraine an, und die als „Spezialoperation“ bezeichnete Aktion habe zum Ziel, Kiew rasch zu besetzen und die gesamte Ukraine dem Willen des Kremls zu unterwerfen, hat dreierlei Reaktionen hervorgerufen.

Die erste war die Irritation, dass der Krieg, an dessen grundsätzlicher Sinnfälligkeit man längst zu zweifeln begonnen hatte, „nach Europa zurückgekommen sei“. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg war ja auf den Impuls zurückgegangen, einen weiteren und verheerenden Krieg auf europäischem Boden zu verhindern.  Die schrittweise erfolgende Erweiterung zur Union hatte und hat vorgeblich, neben wirtschaftspolitischen Gründen, vor allem den Sinn, zuvorzukommen und sie gemeinsam und konsensual zu lösen.

Die zweite Reaktion vor zwei Jahren bestand im Unverständnis, was Russland mit einer derartigen Aktion bezwecke? Das offizielle Argument, man müsse nazistische Kräfte beseitigen, konnte schwerlich überzeugen. Dieses Unverständnis ist die Folge eines Denkansatzes, der sich 1991 breit gemacht hatte: Der Zusammenbruch der Sowjetunion hatte zur naiven Annahme geführt, der Ost-West-Konflikt sei zu einem Ende gekommen, wonach man nicht mehr so viel Expertise zu Osteuropa an den Universitäten und in politiknahen Forschungsinstituten brauche. Ein Fehler, denn derartige Fachleute hätten genügend Einsicht gehabt, um immer wieder darauf hinzuweisen, dass Machtspiele und Kriegswille (nicht nur, aber auch) in Russland kein Ablaufdatum haben.

Dabei kam und kommt auch die Ansicht zum Tragen, wonach Russland und das orthodox geprägte Osteuropa nicht zur eigenen Welt gehörten; trotz aller Impulse der Aufklärung seit rund 250 bis 300 Jahren hat sich auch daran nicht wirklich etwas geändert. Und auch die große Mehrheit der russischen Gesellschaft dachte und denkt im umgekehrten Sinne genauso: Russland sei etwas Eigenes, das mit Europa (im Sinn von Westen) nicht vermengt werden dürfe. Einer der Motoren für einen solchen Denkansatz ist die russisch-orthodoxe Kirche – nicht erst seit dem Moskauer Patriarchen Kyrill, sondern seit Jahrhunderten.

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