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Andrej Babis
Tschechiens Wahlsieger Andrej Babiš gilt als ideologiefrei, trat aber dennoch im EU-Parlament mit seiner ANO den "Patrioten für Europa bei". © CommonsWikimedia, Vox Espana.

Die Tschechen drücken die Stopp-Taste

Genug vom Ukraine-Krieg, genug von der Dominanz Brüssels und genug von der hörigen bisherigen Regierung. Die Botschaft, die die Tschechen durch den klaren Wahlsieg von Andrej Babiš aussenden, ist deutlich und laut – sie hallt bis zur EU-Kommission. Eine weitere Hauptstadt ist „gefallen“.

Gudula Walterskirchen | Politik | 10. Oktober 2025

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Die Parlamentswahl in Tschechien vom 4. Oktober sorgte auch im Ausland für Überraschung und für Schlagzeilen.  Diese reichten von der Einschätzung des Wahlsiegers Andrej Babiš als „Sonderfall , „Populist“ bis zu „nicht einzuordnen“. Die Wahl selbst wurde als „Richtungswechsel“ und vom Österreichischen Rundfunkt ORF als „Rückschlag für die Ukraine“ eingestuft. Doch wer ist Andrej Babiš und warum wurde er gewählt?

In Europa tut sich was: In Rumänien hätte mit Haaresbreite ein Nato-kritischer Kandidat die Präsidentschaft gewonnen, hätte der EuGH die Wahl nicht annulliert; In Frankreich gewann die Partei Marine Le Pens, wurde jedoch von einer Dreierkoalition an der Machtübernahme gehindert. Nun erlebt Frankreich einen Ministerpräsidenten nach dem anderen, die Intervalle werden immer kürzer, es gibt Massenproteste und das Land rutscht immer tiefer in die Krise. Ähnliches passiert in Großbritannien, wo ebenfalls der Labour-Premier Starmer wankt und Massenproteste sich erheben.

In Polen hat nach der Machtübernahme des Linken Donald Tusk nun einen rechtskonservativen Präsidenten, der ihm einheizt. Der slowakische Sozialdemokrat Robert Fico stellt Brüssels Vorgaben radikal infrage und stellt sich an die Seite Orbáns. In Tschechien gab es nichts davon, und dennoch ist eine Wende eingetreten. Eines vorweg: Andrej Babiš ist kein typischer Politiker, und doch schon viele Jahre genau dies. Er ist gebürtiger Slowake, den Akzent höre man immer noch, heißt es, hat mit seinem Agrarkonzern Milliarden gemacht, vertritt keine erkennbare Ideologie, sondern ist Pragmatiker. 2014 wurde er Finanzminister in einer sozialistischen Regierung, und dann 2017 erstmals Regierungschef mit seiner eigenen Partei.

Ehemalige Konkurrenten

Bei der Präsidentenwahl 2023 gelangte er zwar in die Stichwahl, unterlag dann aber dem aus dem politischen Nichts aufgetauchten Kandidaten Petr Pavel. Der frühere Offizier des Warschauer Pakts und spätere Nato-General wurde anfangs von keiner Partei unterstützt, führte einen aufwändigen und hochprofessionell ausgerichteten Wahlkampf (dessen Finanzierung unklar ist) nach Hollywood-Manier und gewann schließlich. Und nun ist der ehemals unterlegen Kandidat wohl der kommende Ministerpräsident.

Es ist eine revolutionäre Wende, die auf den ersten Blick nicht so aussieht, eine Wende im Hinblick auf die immer dreistere Übergriffigkeit aus Brüssel. Nur 35 Prozent der Tschechen sehen laut jüngster Eurobarometer-Umfrage die EU positiv, der niedrigste Wert aller Staaten. Und obwohl Babiš nie angekündigt hatte, die EU verlassen zu wollen, so war seine Kritik doch sehr deutlich. So etwa meinte er in Budapest im Sommer 2025: „Europa ist nicht Brüssel. Es ist Prag, Warschau, Budapest, Rom etc. Es sind die Stimmen der Bürger, die gehört werden wollen. Es ist das Recht der Nationen, sich selbst zu regieren. Es ist das Recht der Familien, ihre Kinder zu erziehen ohne ideologische Einmischung.“ Die Richtung war somit klar. Abkehr von der Dominanz der EU, hin zu Selbstbestimmung und Patriotismus.

Haushoher Wahlsieg

Und das kam bei den Tschechen offenbar sehr gut an. Im Vorfeld wurde die ANO zwar als Wahlsieger gesetzt, allerdings hatte niemand mit einem so großen Abstand zur bisher regierenden Partei von Petr Fiala gerechnet: Die ANO erhielt 34,7 Prozent und Fiala 12 Prozentpunkte weniger. Die Wahlbeteiligung war mit fast 70 Prozent so hoch wie nie zuvor. Noch deutlicher kann man die Unzufriedenheit mit der bisherigen Regierung wohl nicht ausdrücken.

Wir fragen den Politikwissenschaftler Petr Drulák, Professor für Internationale Politik in Pilsen und in Prag, ob er vom Wahlausgang überrascht war? Der Wahlsieg war vorhergesagt worden, doch das Ausmaß hat ihn doch überrascht. „Überrascht hat mich auch das schwache Ergebnis der Partei SPD von Okamura, die als rechtsextrem abgestempelt wurde. Sie hat viel verloren, ist aber dennoch im Parlament.“ Tomio Okamura – sein Vater ist Japaner – konnte mit „Freiheit und direkte Demokratie“ bei der Wahl 2017 noch 10 Prozent der Stimmen erreichen, nun hat sie 7,8 Prozent. Dennoch verhandelt sie mit Babiš über eine Regierungsbeteiligung mit.

Petr Drulak 2025 Libratus web KopiePolitikwissenschaftler Petr Drulák. © Libratus.

Nicht erwartet hatte der Politologe, dass die Partei "Stačilo!" – „Es reicht!“ – es nicht ins Parlament schaffte. Hatte dies damit zu tun, dass die Kommunisten ausgedient haben? Nein, meint Drulák. Zwar seien die Verbindungen zu den Kommunisten bekannt, aber es handle sich eher um eine linkskonservative Partei, die auch von Sozialdemokraten und Vertreter der Bürgergesellschaft getragen werde. Allerdings seien vor allem die ehemaligen Sozialdemokraten von Babiš überzeugt worden.

Doch warum konnte Babiš derart überzeugend siegen? Was war das zentrale Thema? Dies sei klar der Ukraine-Krieg gewesen, meint Drulák. Die vorherrschende Stimmung in Tschechien sei mittlerweile sehr kritisch gegenüber dem Krieg in der Ukraine, man lehnt ihn ab und will sein Ende. Das fordert auch der Wahlsieger. Dennoch bleibt er pragmatisch und geht nicht auf Konfrontationskurs. „Babiš hat klargemacht, dass er wegen der Ukraine keine Konfrontation mit Brüssel will. Er ist aber kritisch gegenüber dem Ukraine-Krieg, will ihn beenden – ähnlich der Position der USA.“

Babiš ist eher wie Meloni

Es werde nach Einschätzung Druláks ein Premier Babiš vorsichtiger als etwa Trump oder Orbán agieren, er hatte auch keine Absicht geäußert, aus EU oder Nato auszutreten. Er scheut eine Isolation, in die etwa Ungarns Viktor Orbán geraten ist, er sei viel vorsichtiger. „Er macht viele Geschäfte in Deutschland, hängt von den Banken ab, und die sind alle westlich. Er ist eher wie Meloni zu sehen.“

Das hinderte ihn aber nicht daran, im EU-Parlament sich der Fraktion „Patrioten für Europa“ anzuschließen. Mit dabei u.a. Orbáns Fidesz, Le Pens „Rassemblement National“ und die FPÖ. Wie passt das zusammen? „Das ist tatsächlich paradox“, meint der Politologe. Aber dies heiße nicht, dass er dieselbe Außenpolitik machen werde. Was Babiš sehr wohl anstrebt, ist eine Wiederbelebung der Visegrád-Staaten, also dem früheren Bündnis von Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Letztere sind wohl bereit dazu, Polen unter Donald Tusk sicher nicht.

Obwohl er von Präsident Petr Pavel (noch) nicht beauftragt wurde, verhandelt Babiš bereits eine Koalition. Favoriten waren zu Beginn die Motoristen, eine konservative Autofahrer-Partei, und die SPD von Okamura. Die SPD wendet sich etwa gegen den Islam, den sie in Tschechien verbieten will, und fordert den Austritt aus EU und Nato, sowie mehr direkte Demokratie.

Koalition nicht zu verhindern

Doch wird der Nato-Befürworter und prononcierte Ukraine-Unterstützer Präsident Pavel eine derartige Regierung akzeptieren? „Wenn es ein Abkommen für eine Koalition gibt, wird es für den Präsidenten sehr schwierig, das zu verhindern“, meint Drulák. Bisher hätten alle Präsidenten dies respektiert, selbst wenn sie mit einzelnen Ministern nicht einverstanden waren. Das würde eine Verfassungskrise eröffnen. Pavel reist nicht nur häufig in die Ukraine, sondern ist auch Initiator der „Munitions-Offensive“, mit der weltweit Munition eingesammelt und in die Ukraine geliefert wurde. Damit soll laut Babiš nun Schluss sein, und auch mit der Unterstützung der Ukraine und den Ukrainern, die nach Tschechien geflüchtet sind. Hier hat sich die Stimmung ebenfalls gedreht, viele Tschechen kritisieren die Bevorzugung der etwa 400.000 Ukrainer bei Sozialleistungen und anderem.

Egal, wer in der Koalition mit dabei sein wird: In Brüssel wird man sich nun warm anziehen müssen, denn der Widerstandsblock gegen die bisherige Bürokratur hat ein weiteres Mitglied.♦

Gudula Walterskirchen

Herausgeberin Libratus

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