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Friedenszeichen und Hände auf blauem Grund
© Bild:123RF Bildagentur; Nattiya Ruankum.

Friedenspolitik statt Wettrüsten

Trump und Putin werden den Krieg in der Ukraine beenden. Die Europäische Union muss anschließend eine dauerhafte europäische Friedensordnung schaffen. Vorbereitungen dazu sollten schon jetzt starten. Worum geht es?

General i.R. Günther Greindl | Kommentar | 07. März 2025

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Als die Europäische Union 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, blickte die Bevölkerung mit Stolz auf das Erreichte. Sie sah Frieden und Demokratie als die größten Errungenschaften der Europäischen Union. Das Ziel der EU, nämlich den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern, schien erreicht.

Dieser Eindruck war trügerisch. Spätestens der Fall Ukraine hat gezeigt, dass eine dauerhafte Sicherheitsarchitektur in Europa gescheitert ist und die EU nicht einmal auf dem eigenen Kontinent für Sicherheit sorgen kann. Trump und Putin werden den Krieg in der Ukraine ohne Mitwirkung der EU beenden. Die Festlegung einer neuen ukrainisch-russischen Grenze und den Verzicht der Ukraine auf die Mitgliedschaft in der NATO werden die Ukraine und die EU zur Kenntnis nehmen müssen.

Diese herbe Enttäuschung kommt nicht unverschuldet. Während der gesamten Dauer des Krieges hat es die EU abgelehnt, mit Russland zu sprechen. Selbst menschliche Kontakte in der Kultur und im Sport wurden rigoros abgebrochen. Als Viktor Orbán diesen Bann durchbrechen wollte, hat man ihn zum Außenseiter und Putin-Versteher erklärt. Die EU befindet sich schon längere Zeit auf einem sicherheitspolitischen Irrweg. Niemand spricht mehr von der Achtung der Prinzipien der Vereinten Nationen, die in den Verträgen als Leitlinie des politischen Handelns festgeschrieben sind.

Stattdessen wird auf die Aufrechterhaltung der „regelbasierten Weltordnung“ gepocht, von der niemand weiß, was sie genau beinhaltet und wer ihre Regeln bestimmt. Die Friedensunion EU hat ihren Grundgedanken aus den Augen verloren. Kriegsrhetorik beherrscht den Alltag, denn sie müsse kriegstüchtig werden, da sie sich angeblich bereits im Krieg befinde.

Das Dilemma der EU

Die Ursachen für diesen erbärmlichen Zustand liegen einerseits in einer historisch bedingten Überschätzung der eigenen machtpolitischen Handlungsmöglichkeiten und andererseits in der panischen Angst, ohne den Schutz der USA den bösen Mächten dieser Welt, vor allem Russland, hilflos ausgeliefert zu sein. Man ist stolz fest in der westlichen Welt verankert zu sein und vergisst dabei, dass der Westen ein Konstrukt des kalten Krieges ist. Der europäische Kulturraum erleidet dadurch eine Verengung, die zuvor nicht existierte. Diese einseitige Abhängigkeit von den USA lähmt die eigenständige Handlungsfähigkeit und hindert die EU, ihre Interessen selbstbewusst zu vertreten.

George Washington, der erste Präsident der USA, hat 1796 in seiner Abschiedsbotschaft, generell auf die Gefahren einer einseitigen Bindung hingewiesen. Eine Nation, die für andere aus Gewohnheit Hass oder Vorliebe empfindet, ist in gewissem Grade ein Sklave. Sie ist Sklave ihrer Animosität oder ihrer Zuneigung, was in beiden Fällen ausreicht, um sie von ihren Verpflichtungen und eigenen Interessen abzulenken. Wenn sie hingegen eine Haltung einnimmt, wie sie in der Neutralität begründet ist, kann sie jederzeit damit rechnen, ohne Vorbehalte respektiert zu werden. Unter Neutralität versteht er eine Politik der harmonischen Beziehungen mit allen Nationen ohne Einmischung in die inneren Angelegenheiten.

Selbstbestimmte EU

Eine solche Politik wäre eine vernünftige Maxime einer selbstbestimmten EU, die für ihre Sicherheit selbst sorgt. Die NATO-Staaten der EU wollen aber auf den Schutz der USA nicht verzichten. Der Artikel 42(7) des EU-Vertrages, der die Beistandspflicht regelt, bringt dies klar zum Ausdruck: „Die Verpflichtungen und die Zusammenarbeit in diesem Bereich bleiben im Einklang mit den im Rahmen der Nordatlantikvertrags-Organisation eingegangenen Verpflichtungen, die für die ihr angehörenden Staaten weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung ist“. Da in der NATO die USA die Schutzfunktion für die schwachen europäischen Nationen übernehmen, bleibt die Gemeinsame Sicherheit- und Verteidigungspolitik (GSVP) unter der Dominanz der USA. Die GSVP ist integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP). Die EU kann daher außenpolitisch nur im Einklang mit den Interessen der USA handeln. Eine eigenständige Sicherheitspolitik oder eine EU-Armee bleiben eine Illusion.

Commons Vladimir Putin Donald Trump in Helsinki 16 July 2018 web

US-Präsident Trump und Russlands Präsident Putin haben seit langem eine Achse. © CommonsWikimedia.

Allerdings ist die Idee einer von den USA unabhängigen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht zur Gänze begraben. Der französische Präsident Emmanuel Macron griff die Idee einer „strategischen Autonomie“ 2020 erneut auf. Frankreich als einzig verbliebene Veto-Macht der EU im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen könnte in der europäischen Sicherheitspolitik eine führende Rolle übernehmen. Der Vorschlag Frankreichs wurde von der damaligen deutschen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer binnen 24 Stunden brüsk abgelehnt. Eine Verteidigung Europas ohne Schutz der USA sei eine Illusion. Besser kann man die Schwäche der EU und ihre Abhängigkeit von den USA nicht verdeutlichen.

Solange diese Abhängigkeit besteht, bleibt Europa ein politischer Zwerg. Die EU wird in Zukunft nur dann eine Rolle spielen, wenn sie für ihre Sicherheit selbst Verantwortung übernimmt. Das bedeutet keineswegs, ein neues Wettrüsten zu beginnen. Sicherheit ruht auf mehreren Säulen. Die drei wichtigsten sind eine stabile Demokratie, eine glaubwürdige militärische Selbstverteidigung und eine engagierte Friedenspolitik. Nur im Zusammenwirken aller drei Säulen kann Frieden und Sicherheit in Europa gedeihen.

Die verlorene Zeitenwende

Der Krieg in der Ukraine wird in der EU als Zeitenwende bezeichnet, die das friedliche Europa wieder zum Kontinent des Krieges machte. Folgerichtig muss die Friedensunion EU zur kriegstüchtigen Kriegsunion werden. Diese Schlussfolgerung ist absurd.

Die wirkliche Zeitenwende in Europa, nämlich der Zusammenbruch des Warschauer Paktes und später der Sowjetunion, war eine Wende zum Frieden. In der Charta von Paris verkündeten 1990 die Staats- und Regierungschefs der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE): „Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, daß sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden.“ Die Sicherheit in Europa ist unteilbar, hieß es. Sie wird durch Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle genährt. Die NATO ist in der Charta nicht erwähnt, weil eine kooperative Sicherheit keine Militärbündnisse braucht. Die Charta von Paris ist ein überzeugendes Dokument der kooperativen Sicherheit, die von jedem EU-Bürger gelesen werden sollte. Wer die Charta liest, wird nicht verstehen, wieso in Europa der Frieden keinen Bestand hatte und wieso wieder hunderttausende Soldaten und Zivilisten sterben müssen?

Hass auf die Sowjetunion

Vielleicht waren es der verbliebene Hass auf die untergegangene Sowjetunion und das tiefsitzende Misstrauen gegenüber Russland, die das neue Europa der Charta von Paris scheitern ließen. Die bestechende Idee von der Unteilbarkeit der Sicherheit blieb eine leere Worthülse. Oder waren es die unehrliche Absichten der EU bei der friedlichen Lösung des Konflikts in der Ukraine. Immerhin haben sowohl Angela Merkel als auch François Hollande bestätigt, dass die Abkommen von Minsk der Ukraine lediglich Zeit verschaffen sollten, um militärisch aufzurüsten. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte nach den Minsker-Gesprächen offen davon gesprochen, dass nicht die Politik, sondern die Waffen über den Frieden entscheiden werden. Emmanuel Kant hat in seinem Traktat vom ewigen Frieden schon im ersten Präliminarartikel gefordert: „Kein Friedensschluss verdient seinen Namen, wenn man ihn nur deswegen unternommen hat, um geheim einen neuen Krieg zu planen“. Warum die Charta von Paris gescheitert ist wird noch ein reiches Betätigungsfeld für Historiker und Friedensforscher werden.

Frieden und Sicherheit

Das Bundesheer veröffentlicht jährlich ein Risikobild. 2025 kam man zum Schluss, dass die EU bereits in einem hybriden Krieg mit Russland sei. Wenn Trump und Putin den Krieg in der Ukraine beenden, wird sich die EU entscheiden müssen. Spätestens dann ist es Zeit, mit dem ewigen Feind Russland Frieden zu schließen. Eine Zeitenwende zum Frieden, eine Rückkehr zur kooperativen Sicherheit ist die Zukunft. Die EU wird in der Welt nur dann eine Rolle spielen, wenn es einen dauerhaften Frieden in Europa gibt. Der ist nicht gegen, sondern nur mit Russland erreichbar. Dazu muss sich die EU zu einem ehrlichen und respektvollen Umgang mit Russland durchringen.

Der Zeitpunkt ist günstig, da sich eine Aussöhnung zwischen Russland und den USA abzeichnet. Außerdem will Trump die Präsenz der US-Truppen in Europa drastisch verringern. Sein Vorschlag, die Anzahl der Atomwaffen zu halbieren, ist ein vielversprechender Schritt in Richtung Rüstungskontrolle. Diese Entwicklungen begünstigen Verhandlungen über eine europäische Sicherheitsarchitektur, wie sie in der Charta von Paris angelegt war.

Neuer Wiener Kongress

Eine europäische Friedenskonferenz der Teilnehmerstaaten am Sitz der OSZE, gegebenenfalls unter Einbindung Chinas, könnte diese historische Aufgabe übernehmen, so wie einst der Wiener Kongress eine Neuordnung des Friedens in Europa schaffte. Diesmal sollte die EU seine oft beschworene strategische Autonomie ernsthaft und selbstbewußt verfolgen. Eine wirkliche strategische Autonomie ist nur dann gegeben, wenn nur europäische Soldaten die Selbstverteidigung Europas übernehmen würden. Es gäbe keine Kommanden oder Stützpunkte der USA auf dem Gebiet der EU. Die EU und die USA wären durch eine strategische Partnerschaft verbunden, die zu gegeben Zeit zu einer strategischen Triade mit Russland erweitert werden könnte. Eine Wiederbelebung der OSZE wäre der gemeinsame Schirm der kooperativen Sicherheit von San Francisco bis Wladiwostok. Was wie ein unerfüllbarer Traum erscheint, atmet in Wirklichkeit den Geist der Charta von Paris.

Friedenskonferenz in Wien

Österreich kann, ja sollte als neutraler Sitzstaat der OSZE diese Idee mutig vertreten und bei der Vorbereitung einer Friedenskonferenz seine guten Dienste anbieten. Statt Kriegsrhetorik und Unterstützung der europäischen Konfrontationspolitik, sollte es unverzüglich zu einer klugen und aktiven Friedenspolitik zurückkehren. Jetzt ist die Gelegenheit, im Sinne der Erklärung von Außenminister Alois Mock anlässlich des Beitritts zur EU, zu handeln: „Die Neutralität Österreichs ist sein spezifischer Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Europa“. Diese Aufgabe ist für das neutrale Österreich von zeitloser Gültigkeit. Die österreichische Bevölkerung stünde mit überwältigender Mehrheit dahinter.

Ein Prozess, der in Helsinki mit der Konferenz für Sicherheit- und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) begann und in Paris seine vielversprechende Fortsetzung fand, könnte in Wien seine Vollendung finden. Dieser Prozess könnte Europa eher vor der Geißel des Krieges bewahren als ein unkontrollierbares Wettrüsten. Am Ende dieser Friedenskonferenz stünde als Signal der dauerhaften und wirklichen Zeitenwende die Charta von Wien für ein Europa des Friedens, der Sicherheit und der Freiheit.

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General i.R. Günther Greindl

Gastautor bei Libratus

Mag. DI Günther Greindl ist österreichischer Generalstabsoffizier im Ruhestand. Er war Leiter der Generalstabsgruppe für Sicherheitskooperation im BMLV und erster Militärrepräsentant Österreichs bei der EU und NATO. Er hatte verschiedene Auslandsverwendungen und war kommandierender General der Blauhelme in Syrien-Israel, in Zypern und in Irak-Kuwait. 2013 wurde ihm der „Egon Ranshofen-Wertheimer-Preis“ für Verdienste um das Ansehen Österreichs im Ausland verliehen.

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