Gas, Uran, Öl und die Doppelmoral
Die westlichen Länder geben vor, bei den Lieferländern von Gas, Öl und anderen Rohstoffen strenge Maßstäbe anzulegen: Mit Sanktionen, Lieferstopps und Druck auf Abnehmerländer. Muss Energie moralisch sauber sein? Und gelten die Regeln für alle oder biegt man sie zurecht?
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Es war eine unauffällige Meldung: Im April dieses Jahres musste ein Frachter namens „Atlantic Navigator II“ wegen eines technischen Problems ungeplant den Hafen im norddeutschen Rostock anlaufen.
Routinemäßig kontrollierte die Zollbehörde die Ladung – und beschlagnahmte sie. Der Grund: Das Schiff kam aus St. Petersburg und hatte Birkenholz geladen. Dieses steht auf der Liste der sanktionierten Güter, die wegen des Ukraine-Kriegs über Russland verhängt wurde. Ganz nebenbei wurde in den Berichten erwähnt, dass das Schiff auch angereichertes Uran geladen hatte. Dieses steht jedoch nicht auf der Sanktionsliste. Die Menge wurde nicht genannt. Zielhafen der Ladung war Birmingham, USA. Nach einigem Hin und Her durfte das Schiff samt Ladung nach einigen Tagen Rostock verlassen und weiterfahren.
Gleichzeitig mit der unscheinbaren Meldung über den russischen Uran-Frachter ging ein anderes Thema durch alle Medien, es füllte und füllt immer noch Titelseiten und Fernseh-Diskussionsrunden: Dürfen westliche Länder, wie etwa Deutschland und Österreich, aber auch Ungarn, weiterhin russisches Gas beziehen? Ist es moralisch gerechtfertigt, dies zu kaufen und damit den Krieg mit der Ukraine mitzufinanzieren? Die vorherrschende eindeutige Antwort von Politikern wie Medienleuten lautet: Nein! Es sei moralisch geboten, anstatt dessen Flüssiggas aus den USA zu beziehen, selbst wenn dieses ein Vielfaches kostet. Die einzige sich daraus ergebende weitere Frage in diesen Debatten ist: Wie kann man aus den Lieferverträgen mit Russland aussteigen? Manche gehen sogar so weit zu sagen, es sei gut, dass die Pipeline Nord Stream – von wem auch immer – gesprengt worden sei, denn nun könne von dort kein russisches Gas mehr fließen, das man aus moralischen Gründen unmöglich beziehen dürfte.
Was in dieser Debatte fehlt, sind wesentliche Fakten, die bewusst oder aus Unkenntnis unter den Tisch fallen. Durch diese jedoch erhalten jene, die in dieser Frage die Moral hochhalten, ein gänzlich anderes Gesicht, nämlich ein janusköpfiges.
Doppelt so viel Uran wie 2022
Faktum ist, dass nicht nur europäische Länder, sondern auch die USA ein wichtiger Abnehmer von russischen Rohstoffen sind. Besonders groß ist der Bedarf an Uran, zum Betrieb der US-Atomkraftwerke, denn der Hunger nach Energie ist enorm. Billige Energie in ausreichenden Mengen ist die Grundlage einer florierenden Wirtschaft. Und russisches Uran ist billiger als von anderen Lieferländern. Faktum ist, dass die USA im Jahr 2023 doppelt so viel Uran aus Russland kauften als im Jahr zuvor! Das heißt, dass die USA nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und der Verhängung der Sanktionen gegen Russland ihre Uran-Importe aus Russland nicht reduzierten, sondern sogar stark steigerten! Trotz der politischen Debatten um ein Importverbot, das wiederum Ausnahmen für AKW beinhaltet. Ein Drittel des gesamten Urans für die AKW stammt aus russischer Produktion, und das Jahr 2023 bedeutet einen Spitzenwert seit 2005. Übrigens ist auch die EU stark abhängig von russischem Uran, das weiterhin importiert werden darf, trotz Sanktionen für andere Güter. Durch den zunehmenden Strombedarf wird auch der Bedarf an Uran steigen. Eine weitere Janusköpfigkeit.
Dies ungeachtet der Tatsache, dass in der öffentlichen Debatte vor allem Deutschland und Österreich wegen der Gaslieferungen aus Russland am internationalen Pranger stehen. Sie würden damit den Krieg gegen die Ukraine finanzieren, so der Vorwurf. Sogar von „Blutgeld“ war die Rede. Sie werden massiv unter Druck gesetzt, aus den Verträgen auszusteigen. Mit Erfolg. Nun will die österreichische OMV sogar aus dem bis 2040 geltenden Gas-Vertrag mit Russland aussteigen – wohl mit enormen Kosten und unklarer Ersatzlösung.
Tricks und Vorwand Klimakrise
Gas ist also verwerflich, Öl steht auf der Sanktionsliste, ebenso Holz und Metall – Uran nicht? Wie ist das möglich? Die Lösung dieses Rätsels zeigt auf, mit welchen Tricks und Vorwänden mitunter operiert wird, wenn es um die Interessen großer Staaten geht. Die Argumentationskette lautet: Da Uran und somit die Atomkraft dabei helfen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und somit die Klimakrise zu bekämpfen, ist es von den Sanktionen ausgenommen. Und es ist somit keineswegs verwerflich, sondern moralisch in Ordnung, dass man Uran von Russland bezieht. Dasselbe gilt für Rohstoffe, die für Batterien und Akkus benötigt werden. Das bedeutet, dass die CO2-Reduktion jedes Opfer wert ist, selbst wenn es Menschenleben kostet und mit dem Erlös Kriege finanziert werden.
Wie wichtig diese Rohstoffe für den Westen sind, zeigte kürzlich eine Meldung: Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte an, den Export von Uran, Nickel und Titan massiv einzuschränken. Damit sollte eine Vergeltung für die Sanktionen gegen Russland erfolgen. Die internationalen Märkte reagierten sofort, die Preise stiegen.
© Commons Wikimedia
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Moral recht beliebig eingesetzt wird, ist Aserbaidschan: Bekanntlich versuchte dieses Land unter Führung des autoritär regierenden Alijew-Clans seit langem, dem benachbarten Armenien die Region Berg-Karabach zu entreißen. Im Juli 2022, im Schatten des eben entbrannten Ukraine-Kriegs, war es soweit: Aserbaidschan überfiel und okkupierte Berg-Karabach, die Einwohner flohen zu Zehntausenden. In dem Gebiet wurden sogleich „ethnische Säuberungen“ durchgeführt, zahllose Menschen ermordet und vertrieben.
Die internationale Reaktion war gleich null. Zumindest was eine Verurteilung der Okkupation oder gar Sanktionen betrifft. Im Gegenteil schloss zeitgleich (!) EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Aserbaidschan einen neuen Gas-Liefervertrag ab, der das russische Gas ersetzen helfen sollte. Dieses gilt ja, siehe oben, seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine als moralisch verwerflich. Von der Leyen lobte Ilham Alijew überschwänglich als „verlässlichen Partner“ des Westens und der EU und kündigte an, die Gasimporte aus Aserbaidschan in die EU verdoppeln zu wollen. Als Argumente dienten wiederum, die russischen Importe müssten ersetzt werden – und die, erraten, „Klimaneutralität“!
Ähnlich verfuhr man bei den Geschäften mit Qatar: Ebenfalls, um russisches Öl zu ersetzen, fuhr Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (die sich „im Krieg mit Russland“ sieht) eilig nach Qatar. Dort schloss sie Öllieferverträge ab und diente sich dem dortigen Regime an. Qatar ist ein Land, in dem die Menschenrechte nur in Ansätzen gelten, wo die Todesstrafe willkürlich verhängt wird und Frauen keine Rechte besitzen. Darüber hinaus finanziert die Regierung von Qatar Terrororganisationen wie die Hamas.
Gerhard Mangott, Politikwissenschaftler an der Universität Innsbruck und Russland-Kenner, schrieb dazu am 23. Oktober 2023 auf X: „Um vom russischen Gas unabhängig zu werden, bezieht die EU nun viel mehr Gas aus Qatar und aus Azerbaijan. Qatar finanziert die Hamas. Aserbaidschan hat eine ethnische Säuberung von Armeniern durchgeführt. Wurde da der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben?“
Saudis und Qatar begehrte Partner
Auch im Hinblick auf die Vereinigten Arabischen Emirate und deren Öllieferungen nach Europa waren Menschenrechtsverletzungen noch nie ein Grund für Sanktionen oder Lieferstopps. Ähnliches gilt für Saudi-Arabien, das sogar viele Jahre enger Verbündeter und Partner der USA war. Bis es sich vor kurzem den Brics-Staaten anschloss und ankündigte, den Ölhandel künftig nicht mehr in Dollar abzuwickeln (siehe dazu "Libratus Magazin" 1/2024). Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen seit sieben Jahren den völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg im Jemen. Das hindert europäische Länder nicht daran, weiter Geschäfte mit diesen Ländern zu machen. So etwa verhandelte die österreichische Regierung im März 2022, kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs, mit den Vereinigten Arabischen Emiraten über eine Energiezusammenarbeit.
Es sollten auch in anderer Hinsicht alle Geschäftsbeziehungen europäischer Firmen zu Russland aufgegeben werden. Dabei schreckt man auch vor offenen Drohungen nicht zurück. So reisten etwa im Juni Vertreter des US-Außenministeriums nach Wien, um einer österreichischen Großbank anzudrohen, aus dem SWIFT-Verkehr ausgeschlossen zu werden, wenn sie ihre russische Tochterfirma nicht schließen würde.
All dies mit dem Argument, dass die Sanktionen eingehalten werden müssten, die dazu dienen, dass Russlands Wirtschaft geschwächt würde und dass der Krieg in der Ukraine von Putin nicht weiter finanziert werden könne. Die USA üben also Druck auf EU-Staaten aus, obwohl sie selbst mehr russische Rohstoffe kaufen als vor dem Ukraine-Krieg. Ein klassischer Fall von Doppelmoral. Und die EU-Kommission und die Regierungen fast aller Nationalstaaten lassen dies zu oder machen sogar bei dieser Farce aktiv mit.
Gleichzeitig beziehen etliche EU-Länder auf Umwegen weiterhin Öl aus Russland, das auf andere Schiffe umgeladen wird. Etwa vor der Küste Griechenlands.
Im Sinne der Eigeninteressen von Staaten ist es legitim, dass man unverzichtbare Energie und Rohstoffe auch von Staaten kauft, die nicht den eigenen Standards in Sachen Demokratie und Menschenrechten entsprechen. Es ist dann jedoch nicht angebracht, von einer „wertebasierten Außenpolitik“ zu sprechen. Denn Werte und Moral spielen bei einer ausschließlich Interessen geleiteten Politik keine Rolle. Und es handelt sich um ein Messen mit zweierlei Maß, ja Doppelmoral, wenn die Europäer keine russische Energie mehr beziehen dürfen, die USA jedoch ihre Importe von Energieträgern aus Russland massiv steigern. Hierbei handelt es sich um bloße Interessenpolitik – offenbar auch mit der Absicht, seinen Partnern zu schaden oder zumindest zu übervorteilen. Mit Werten und Moral hat dies ebenfalls nichts zu tun.
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