
Gibt es noch echte Meinungsfreiheit?
Demokratie und Menschenrechte müssen gegen ihre Widersacher verteidigt werden – so lautet einhellig das Credo von EU-Kommission und Europas Regierungen. Eines der Grundrechte ist das Recht auf freie Meinungsäußerung. Kritiker werfen der EU, den Regierungen und internationalen Organisationen vor, gezielt die Meinungsfreiheit einzuschränken und verdeckt oder offen Zensur zu üben. Haben sie recht oder ist die Kritik überzogen?
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Seine Meinung offen zu sagen, ohne Restriktionen fürchten zu müssen, ist eine der wichtigsten Kennzeichen, ob ein Staat liberal-demokratisch ist oder nicht. Zensur, Redeverbote und Einschränkung der Meinungsäußerung sind Phänomene totalitärer und unfreier Staaten. Nach dem Ende der Diktaturen, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des Kommunismus, in Europa dachte man, so etwas würde in Europa nie wieder geschehen. Dass man bespitzelt, Angst wegen Meinungsäußerungen haben würde; Dass man wegen der „falschen“ Gesinnung oder wegen der Teilnahme an friedlichen Demonstrationen seinen Job verlieren würde. Undenkbar! Die einzige Grenze der freien Meinungsäußerung war das Strafrecht, wenn man anderen zu Unrecht eine Straftat unterstellt, sie verleumdet oder herabwürdigt, sowie in Deutschland und Österreich die NS-Wiederbetätigung. Das war’s.
Doch in den vergangenen Jahren nahm die Verunsicherung zu: Was darf man heute noch sagen? Ist das politisch korrekt? Das waren die Folgen der Sprachpolizei der politischen Korrektheit, ausgehend von den USA.
Bald wurden die Grenzen enger gezogen, „Hass“ und „Fake News“ gerieten in den Fokus, vor allem in den sozialen Medien. Nun wurde Cybermobbing tatsächlich immer mehr zu einem Problem, Opfer hatten oft kaum die Möglichkeit, sich zu wehren. In Deutschland wurde daher bereits 2018 das „Netzdurchsuchungsgesetz“ erlassen. Die Kritik der Juristen, dass dieses überzogen sei, es keine Pflicht zur Wahrheit gebe und dass damit nicht mehr Richter, sondern Mitarbeiter von Digitalunternehmen entscheiden, verhallte ungehört. Im Hinblick auf das, was danach kam, war dies jedoch bloß das Vorspiel. Eine Umfrage unter den Deutschen im Zuge der EU-Wahl ergab, dass 58 Prozent der Bürger Sorge davor haben, dass man bei Meinungen zu bestimmten Themen ausgegrenzt wird. Doch ist diese Sorge überhaupt begründet?
„Desinformation“ als Schreckgespenst der Eliten
Getarnt unter verschiedenen Vorwänden nutzte also die Politik in den vergangenen Jahren jede Gelegenheit, um unangenehme Kritik zum Verstummen zu bringen und lästiges Nachbohren zu verhindern. Das zeigte sich etwa während der Covid-Pandemie: Alle, die die offizielle Propaganda infrage stellten, wurden bekämpft, diskreditiert, gerichtlich verfolgt oder mit Strafen belegt, auch wenn sie nichts strafrechtlich Relevantes von sich gaben. Im Fokus standen und stehen die sozialen Medien, in denen jeder Bürger ungefiltert seine Meinung einer breiten Öffentlichkeit kundtun kann. Argumentiert wurde recht beliebig: Mit der Bekämpfung von Cyber Mobbing und Hass, mit der Gesundheit, mit den Feinden aus dem Ausland und mit der Verfassung. Ein tatsächliches Übel, nämlich jenes von Cyber-Mobbing, wurde zum Anlass genommen, auch sachliche und fundierte Kritik zu unterbinden. So wurden selbst Wissenschaftler, Journalisten und Mitarbeiter von Behörden in den sozialen Medien sofort gesperrt, wenn sie Kritisches äußerten. Kampf gegen gefährliche Desinformation und Fake News, nannte sich das.
Ein weiteres Mittel der indirekten Zensur ist die Demonetarisierung: Etliche Blogs und Youtuber sind auf Online-Werbung angewiesen, da sie ihre Inhalte gratis anbieten. Wenn sie bei den Werbern blockiert oder mit einem Warnschild versehen werden, versiegen die Einnahmen plötzlich. Und wenn man viel Geld in einen Youtube-Kanal investiert hat, der dann gesperrt wird, ist dies auch wirtschaftlich ein Problem. Die konkreten Gründe sind oft nicht klar, und es ist mühsam, wieder eine Freischaltung zu erlangen. Doch die Online-Plattformen stehen selbst unter Druck: Wenn sie nicht gnadenlos löschen, drohen existenzbedrohende Strafzahlungen. Das wirkte. So wurde selbst dann gelöscht, wenn die Inhalte längst wissenschaftlich erwiesen und Konsens waren, jedoch dem Narrativ und Propaganda der Politik widersprachen.
Digital Service Act
Und man ging noch weiter. Der „Digital Service Act“ wurde dafür auf den Weg gebracht. Dieser enthält einige wichtige und notwendige Bestimmungen, etwa für den Online-Handel. Die EU-Kommission sagte damit auch der Kinderpornografie den Kampf an. Ein berechtigtes Anliegen. Und um diese zu unterbinden, sollten die Online-Dienste in die Pflicht genommen werden. Kritiker wandten ein, dass Kinderpornos nicht auf Youtube und WhatsApp zu finden seien, sondern im Darknet. Bald war klar, dass es der Polit-Elite um ganz etwas anderes ging, nämlich um rigorose Kontrolle und Zensur. Plötzlich war nämlich von einem ganz anderen Ziel die Rede. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab die Richtung vor. Auf dem Treffen des World Economic Forums in Davos 2024 definierte sie als größte Gefahr für die Welt nicht den Klimawandel oder den Krieg in Europa, sondern „Desinformation und Missinformation“. Dagegen müsse man mit allen Mitteln kämpfen. Der Generaldirektor der WHO, Tedros Ghebreyesus, sprach auf der Weltgesundheitsversammlung im Mai 2024 ebenfalls davon, dass künftig mit allen Mitteln der Desinformation der Kampf angesagt werden müsse. In der Folge änderte Google für seine Plattform Youtube die Bestimmungen und entfernt nun alle „medizinischen Fehlinformationen“. Allerdings enthalten die Bestimmungen von Google bei Durchsicht ebenfalls gravierende Fehlinformationen.
Was „Desinformation“ eigentlich ist, definiert die Politik, die WHO und andere Institutionen selbst. Somit kann jegliche unerwünschte Kritik unter dem Etikett „Desinformation“ unterdrückt, ja verboten und bestraft werden
Was „Desinformation“ eigentlich ist, definiert die Politik, die WHO und andere Institutionen selbst. Somit kann jegliche unerwünschte Kritik unter dem Etikett „Desinformation“ unterdrückt, ja verboten und bestraft werden
Elemente totalitärer Herrschaft
Zu diesem Zweck bietet der „Digital Service Act“ einiges auf. So soll das Internet mittels künstlicher Intelligenz ständig gescannt werden, ob irgendwo „Falschinformationen“ verbreitet werden. Was darunter zu verstehen ist, definiert die Kommission, also die Politik. Diese Fake News oder Desinformation muss sofort gelöscht werden, dazu sind die großen Plattformen verpflichtet. Ohne richterliche Prüfung oder Anordnung. Stattdessen werden besonders vertrauenswürdige Hinweisgeber eingesetzt, so genannte „Faktenchecker“. Letztlich kann sich jeder so bezeichnen, man braucht dafür keine Ausbildung, keinen Berufsnachweis und keine Befähigung. Wichtig ist nur, dass man möglichst viel Desinformation meldet. Und auch private Chats auf WhatsApp oder Telegram sollen systematisch durchsucht werden – das wäre das Ende des Briefgeheimnisses und des Schutzes der Privatsphäre.
Somit sind durch den DSA drei wesentliche Elemente totalitärer Herrschaft etabliert: Gesinnung und Meinung wird sanktioniert; die herrschende Klasse übt offene Zensur; und es wird ein Spitzelwesen etabliert. Auch das kennen wir von totalitären Staaten, aktuell von China und Nordkorea, aber auch aus der NS-Zeit.
Zum Weiterlesen:
Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 1955.
Noam Chomsky, Media Control: Wie die Medien uns manipulieren. 2013.
Christian Bommarius, Die neue Zensur. Wie wir selbst unsere Meinungsfreiheit bedrohen. 2019.
Boris Reitschuster, Meine Vertreibung. 2023.