Härte statt offener Arme
2015 war das Jahr, als die „Willkommenspolitik“ propagiert wurde. Neun Jahre später sind die Länder der EU längst an ihre Grenzen gekommen. Die meisten wollen eine Kehrtwende, die EU verschärft ihre Gangart. Ob all das wirken wird? Oder ist es nicht schon zu spät?
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Im Jahr 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, die unter anderem durch den Syrienkrieg ausgelöst wurde, war die Euphorie groß: Europa sei dem Humanismus und den Menschenrechten verpflichtet, daher müsse man alle diese Menschen aufnehmen. Da dürfe man nicht lange fragen, wer, woher, wohin und warum. In den Medien dominierten Bilder von Frauen mit Kindern, die von Helfern versorgt wurden. Eine Welle der Hilfsbereitschaft wogte durch den Kontinent. Dass es sich bei den Flüchtlingen vor allem um „Wirtschaftsflüchtlinge“ und junge Männer handelte, wurde geflissentlich negiert.
Doch es gab auch die hässlichen Bilder: Junge Männer, die gegen den von Ungarn errichteten Grenzzaun anrannten. Grenzpolizisten, die auch zum Knüppel griffen. Hunde, die zähnefletschend Flüchtlinge zurückdrängten. Migranten, die in Lagern interniert und nach Prüfung ihrer Asylberechtigung wieder abgeschoben wurden. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wurde damals vorgeworfen, die europäischen Werte zu missachten, nationalistisch und fremdenfeindlich, sowie ein „Demagoge“ zu sein. Orbán selbst verteidigte sich stets damit, dass er bloß seine vertraglichen Verpflichtungen mit der EU befolge und die Schengen-Außengrenze vor illegaler Migration sichere.
Heute, nur neun Jahre später, gibt es plötzlich viele Länder, die sich Orbán’s Kurs von damals anschließen. Ja, es wird ihm sogar vorgeworfen, etwa von Österreichs Regierung, die Außengrenze zu wenig zu sichern und Migranten in andere EU-Länder durchreisen zu lassen. Und plötzlich reden alle, einschließlich der EU-Repräsentanten, von Lagern außerhalb der EU, Abschiebungen und besserem Schutz der Grenzen.
Das hat konkrete Gründe, denn die aktuellen Zahlen der EU-Kommission zu Migration und Asyl übertreffen jene von 2015 bei weitem. Im Jahr vor der Corona-Krise, 2019, wurde drei Millionen Menschen in der EU ein sogenannter „Aufenthaltstitel“ gewährt: Asylberechtigung, subsidiär Schutzberechtigte und andere. 2022 waren es bereits 3,3 Millionen Titel. Der Anstieg war in Deutschland besonders hoch.
Und selbst während des Lockdown-Jahres 2020 ging die Migration ungebremst weiter: In diesem Jahr, als die Österreicher die meiste Zeit ihre Wohnung nicht verlassen durften, kamen sechsmal mehr illegale Migranten ins Land als 2015 zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Und der Trend setzt sich fort, nochmals gesteigert durch das Recht auf Familienzusammenführung. Österreich hat von allen EU-Ländern den höchsten Anteil an Ausländern, nicht berücksichtigt Migranten mit österreichischer Staatsbürgerschaft.
Migranten in Serbien auf dem Weg nach Deutschland 2015. © 123RF Bildagentur; Radek Procyk.
Diese Zahlen belegen, dass die behauptete Sicherung der Außengrenzen und das Schengen-System schlicht nicht funktionieren. Im Mai 2024 wurde daher ein neues EU-Asylrecht auf den Weg gebracht. Dadurch sollen Asylverfahren beschleunigt und Abschiebungen erleichtert werden. Ankommende sollen lückenlos registriert werden. Menschen aus sicheren Staaten, mit einer Anerkennungsquote unter 20 Prozent, sowie „Gefährder“ müssen in Haftanstalten auf den Ausgang des Schnellverfahrens warten. Dann werden sie in Drittstaaten oder in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Soweit die Theorie. Wie und ob dies in der Praxis funktionieren wird, ist offen. Denn bisher sind alle Ambitionen der EU in diese Richtung gescheitert - Stichwort Frontex.
Harter Kurs der Niederlande
Etlichen Staaten gehen diese Vorhaben dennoch nicht weit oder schnell genug. In den Niederlanden regiert nun ein Rechts-Bündnis, das die Wahl mit dem Versprechen gewonnen hatte, energisch und hart gegen die Migration vorgehen zu wollen. Die Niederlande wollten eine Ausnahmeregelung von der EU-Kommission und die Sache selbst in die Hand nehmen. Die irreguläre Migration müsse drastisch reduziert werden, um „verfassungsrechtliche Aufgaben“ wahrnehmen zu können, wie es Asylministerin Marjolein Faber formulierte.
Im Klartext bedeutet dies, dass das Land einfach nicht mehr kann. So etwa sorgt die „Mocro-Mafia“, die vorwiegend von marokkanischen Einwanderern gebildet wird, durch besonders grausame Verbrechen für Schlagzeilen und Angst. Ebenso die nicht mehr kontrollierbaren arabischen Clans, gegen die Polizei und Justiz machtlos erscheinen. 2021 ermordete die Bande den niederländischen Journalisten Peter de Vries, der über die Verbrechen und den bevorstehenden Prozess der Marokkaner berichtet hatte. Ermordet wurden auch ein Bruder des Kronzeugen und ein Staatsanwalt. Dies diente der Einschüchterung der Justiz und von Zeugen. In etliche Stadtteile Amsterdams wagen sich kaum mehr Polizisten, was massive Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hat. Dazu kommen steigende Gewalt im Drogenmilieu und Terrorakte. Die Terrorwarnstufe wurde kürzlich offiziell auf 4 von 5 möglichen Stufen angehoben, man befürchtet islamistische Anschläge.
Trotz Verurteilungen breiten sich die kriminellen Netzwerke weiter aus, bis hin nach Deutschland. Dort ist sie aber längst angekommen, man denke an die Libanesen-Clans in Berlin und anderswo.
Gewaltwelle in Schweden
Aber auch in Schweden kämpft man gegen zunehmende Bandenkriminalität. Früher waren vor allem die Migrantenviertel schwedischer Großstädte betroffen. Doch diese hat sich ausgebreitet und die Gewaltbereitschaft nimmt zu. 2022 wurde in Schweden durchschnittlich 1 Mensch pro Tag erschossen, in Relation zur Bevölkerungszahl trauriger europäischer Rekord. Kürzlich wurde die Mutter eines Bandenchefs erschossen, nun wird eine neue Gewaltwelle befürchtet. In Stockholm lag die Mordrate pro Kopf 30mal höher als in der Metropole London. Die Bandenmitglieder haben zwischen 85 und 94 Prozent Mitgrationshintergrund.
Werden die Täter verhaftet und vor Gericht gestellt, werden sie oft freigesprochen oder auf Bewährung freigelassen. Es werden zunehmend Minderjährige rekrutiert, die nicht strafmündig sind. Dies führt auch dazu, dass die Justiz und der Rechtsstaat von diesen Banden nicht ernst genommen werden. „Wir waren zu naiv“, meint der schwedische Bestseller-Autor Jens Lapidus. „Als so viele Menschen in unser Land kamen, dachten wir, sie fügen sich in unser System ein und sind am Ende einfach nett.“
In Folge gewannen die Schwedendemokraten die vergangenen Wahlen, die härter vorgehen und Migration insgesamt stoppen wollen. Mit Integration werde man das Problem nicht lösen. Die Situation ist derart dramatisch, dass sogar der Chef der schwedischen Zentralbank, Erik Thedeen, warnte, das wirtschaftliche Wachstum werde durch die Bandenkriminalität gefährdet.
Geld geht zur Neige
Das Problem sind aber nicht nur Kriminalität und Integration muslimischer Kulturen, sondern auch die finanziellen Mittel, die zur Neige gehen. Migranten und Asylwerber erhalten, so wie alle anderen, soziale Unterstützung, medizinische Versorgung, gratis Schulbesuch, Kindergeld, Sprachunterricht, Kinderbetreuung, Unterkunft, und und und. Die Erwerbsquote ist hingegen deutlich unter jener der länger ansässigen Bevölkerung.
Dies liegt einerseits am Zugang zum Arbeitsmarkt, denn meist dürfen Asylwerber nicht sofort arbeiten. Es liegt aber auch an anderen Barrieren, etwa an mangelnder Qualifikation, Sprachbarrieren, Analphabetismus oder schlicht Unwillen. In Österreich zum Beispiel sind neun Jahre nach der Flüchtlingswelle von 2015 nur 40 Prozent der damals Ankommenden in einem regulären Arbeitsverhältnis. Die Erwartung, oder besser Hoffnung, dass die vorwiegend jungen Menschen, die nach Europa kommen, die Pensionen und das Sozialsystem der Zukunft in einer alternden Gesellschaft sichern helfen würden, hat sich somit nicht erfüllt. Ganz im Gegenteil: Sie sind und bleiben in Summe offenbar eine Belastung für das Sozialsystem. Dies wird unweigerlich dazu führen, dass ohne Gegenmaßnahmen und gleichbleibendem Trend der soziale Wohlfahrtsstaat in Europa in Kürze zu Ende sein wird, und zwar für alle. Die Staatskassen sind jedenfalls bereits leer.
Zum Weiterlesen:
Amir Rostami et al., Zunehmende Waffengewalt unter jungen Männern in Schweden. (2018)
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