
Syrische Christen – Hoffnung und Angst
Nach dem überraschenden Sturz von Baschar al-Assad hoffen die Menschen in Syrien, dass es besser wird. Sie haben aber auch - berechtigte - Angst vor den Islamisten, die nun die Macht übernommen haben.
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In Europa jubelten auf den Straßen große Menschenmengen über den Sturz von Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Die Bürger Syriens, sowohl jene, die geblieben sind als auch die Millionen im Exil, sind voller Erwartung, Hoffnung, aber auch Sorge. Vor allem die Christen fragen sich, wie es nun weitergehen wird. Syrien hatte rund 21 Millionen Einwohner, sieben Prozent davon, also etwa 1,5 Millionen, waren Christen. Syrien ist eine Wiege des Christentums und der christlichen Kultur. Bis in die heutige Zeit gab es eine Vielzahl lebendiger christlicher Gemeinden, trotz des Erstarkens und letztlich Dominanz des Islam in dieser Weltregion. Die größte Gruppe sind die griechisch-orthodoxen Christen mit fast der Hälfte der Christen in Syrien, gefolgt von Armenischen Christen, Melkitisch griechisch-katholischen, Syrisch-Orthodoxen, Syrisch-Katholischen, Assyrern, Chaldäern, Römisch-Katholischen und Protestanten.
Berüchtigter Geheimdienst
Man wirft Assad eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen vor, sein Geheimdienst und seine Gefängnisse waren berüchtigt. Unter der säkularen Herrschaft Assads konnten sie dennoch ihre Religion völlig frei ausüben – ungewöhnlich in dieser Region.
Eine der Ursachen liegt darin, dass Assad, dessen Hausmacht die Aleviten waren, in den Christen natürliche Verbündete gegen die sunnitisch-islamische Bevölkerungsmehrheit sah. Nun wird trotz aller Erleichterung befürchtet, dass es damit vorbei ist. Denn trotz aller Zusicherungen können Christen in muslimisch regierten Ländern ihre Religion nicht frei ausüben und sind Repressionen unterworfen.
Bereits im Zuge des Kriegs in Syrien bekamen dies die christlichen Gemeinden zu spüren. In jenen Regionen, in denen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ wütete, wurden Christen besonders grausam verfolgt – aber auch Muslime, die sich nicht der Scharia unterwarfen, und Aleviten. Siedlungsgebiete sind bzw. waren die Städte Aleppo, Homs, die Mittelmeerküste, die Bergregion und der Nordosten des Landes.
Übergriffe durch Islamisten
Auch in den von der Türkei kontrollierten Gebieten im Norden des Landes gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche brutale Übergriffe. Die Christen flohen, viele davon nach Europa – heute gibt es in diesen Gebieten so gut wie keine Christen mehr. Aber auch aus anderen Regionen flohen sie: In Aleppo etwa lebten vor dem Krieg 120.000 Christen, danach (2017) waren es maximal 50.000 – Tendenz weiter sinkend.
Die Bewohner, gleich welcher Konfession, litten nicht nur an den Folgen des Krieges, sondern auch unter den internationalen Sanktionen gegen das Assad-Regime. So etwa gab es kein Heizöl mehr, die Menschen frieren und sind auf Sachspenden angewiesen. Strom ist rationiert, es herrschen Hunger und Entbehrung. Nun besteht die Hoffnung, dass die Sanktionen aufgehoben werden und sich die Versorgungslage verbessern wird. Dass endlich Frieden in Syrien herrscht und die Zeit der Unsicherheit vorbei ist.
Butros Marayati, Bischof von Aleppo. © CommonsWikimedia.
Die Dschihadisten im syrischen Aleppo haben nach Worten des armenisch-katholischen Bischofs Hanna Jallouf den Christen nicht verboten, Weihnachten zu feiern: "Sie haben uns auch nicht aufgefordert, unsere religiösen Zeichen zu entfernen", sagte er dem italienischen Fernsehsender TV2000. Doch es herrscht auch Angst. In den christlichen Gemeinden sorgt man sich dennoch, dass die Dschihadisten, die nun die Macht übernommen haben, ihre Versprechen nicht halten. Der Anführer der islamistischen HTS, Abu Mohammed al-Golani, steht immerhin auf der Fahndungsliste der USA als international gesuchter Terrorist, auf ihn wurde ein Kopfgeld ausgesetzt. Nun verspricht dieser Demokratie und ein friedliches Zusammenleben.
Und auch die HTS stehen weiter auf der Terrorliste der Vereinten Nationen und sind mit Sanktionen belegt, es dürfen ihnen also etwa keine Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Bisher haben sich die HTS-Milizen nach Zeugenberichten korrekt verhalten. Die HTS-Milizionäre hätten nach der Machtübernahme keine Feindseligkeiten gegenüber Christen gezeigt. Doch ihr Ziel ist letztlich ein islamischer Staat, in dem für Andersgläubige kaum ein Raum bleibt.
Erinnerungen an Iran
Daher ist man abwartend und skeptisch-vorsichtig, was die Zukunft betrifft. Denn diejenigen, die nun die Macht übernommen haben, sind ehemalige IS-Kämpfer und Dschihadisten, deren Gräueltaten unvergessen sind. Exil-Iraner fühlen sich an die Machtübernahme der Mullahs 1979 erinnert: Auch damals seien beim Sturz des Schahs viele Versprechungen gemacht worden. Geendet hatte es in einem islamistischen Schreckensregime, das bis heute andauert.
Die syrischen Bischöfe forderten die Gleichheit aller Bürger, unabhängig von deren Religion und ethnischer Zugehörigkeit und appellierten, das Eigentum zu schützen und auf Gewalt zu verzichten. Gleichzeitig appellierten sie an die Gläubigen, Ruhe zu bewahren und nicht in Panik zu geraten. Auch das Hilfswerk „Kirche in Not“ forderte den Schutz der religiösen Minderheiten. Dies sollte die internationale Gemeinschaft gewährleisten.
Augenzeugen des Umsturzes in Aleppo berichten von Riesenstaus, weil viele Menschen aus der Stadt, darunter Christen, flüchteten. Ein Arzt, der blieb, meinte: „Wenn nichts unternommen wird, bleiben wir unter dem Joch der Dschihadisten. Es wird nicht besser.“
Schock sitzt tief
Auch die Christen im Exil sind abwartend und misstrauen den neuen Machthabern. Zu tief sitzt der Schock der Ereignisse während des Krieges. Alle sind sich einig: Man müsse erst abwarten, ob die Versprechungen der neuen Machthaber, die nun als Garanten für Demokratie und Freiheit aufträten, tatsächlich eingehalten würden. Eine Rückkehr nach Syrien kommt daher für viele, vor allem Christen, vorerst nicht infrage.
Viele Syrer, die in Österreich Zuflucht gefunden hatten, bejubelten den Machtwechsel in ihrer Heimat. 30.000 Männer (Frauen waren kaum darunter) zeigten dies am 8. Dezember auf der Wiener Ringstraße mit Flaggen und einer Spontandemonstration. Ob diese nun tatsächlich die Heimreise antreten, bleibt abzuwarten. Innenminister Gerhard Karner hat angekündigt, Abschiebungen vermehrt vorzunehmen und keine Asylanträge mehr zu bearbeiten, da der Asylgrund weggefallen sei.
Abschiebungen geplant
Die deutsche Bundesregierung will mit Abschiebungen noch zuwarten. Die Lage sei zu unübersichtlich. Dennoch werden keine offenen Asylanträge von Syrern mehr bearbeitet. Dies sei rechtlich möglich und empfehlenswert. Ein pauschales Bleiberecht sei laut Völkerrechtler Daniel Thym nicht angeraten und würde das Asylrecht kippen. Aber auch eine rasche Abschiebung hunterttausender Syrer sei rein logistisch nicht möglich.
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer begrüßte den Machtwechsel und riet syrischen Flüchtlingen, zurückzukehren. Syrien brauche seine Bürger für den Wiederaufbau. Es wird bereits ein Rückführungs- und Abschiebeprogramm ausgearbeitet.
Noch im Juli hatte Außenminister Alexander Schallenberg eine Wiederannäherung an al-Assad gefordert: „So bitter es auch ist, mit Hilfe des Iran und Russlands sitzt das Assad-Regime weiterhin fest im Sattel.“ Dieser Vorstoß wurde auch von etlichen anderen EU-Mitgliedern unterstützt. Nun machte man eine Kehrtwende.