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Spritzen vor gelbem Hintergrund
© Bild:123RF Bildagentur; Dreava Bogdan.

Verdrängung statt Aufarbeitung

Am 20. Jänner 2022 wurde in Österreich – als einzigem Land in der EU und einem der wenigen Staaten weltweit – eine generelle Impfpflicht ab 18 Jahren beschlossen. Die Regierung verkündete, ein Vorreiter zu sein, und viele würden diesem Beispiel folgen. Kritiker wurden angefeindet. Die Politik berief sich auf „die Wissenschaft“, die dies als einzige Möglichkeit sehe, die Pandemie zu beenden, und wollte damit „Leben retten“. Doch stimmt das? 

Gudula Walterskirchen | Wissenschaft | 17. Januar 2025

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Es gibt im deutschsprachigen Raum nur wenige echte Experten auf dem Gebiet Epidemieprävention und -bekämpfung, einer davon ist Klaus Stöhr. Der Deutsche ist Virologe, Epidemiologe, Tiermediziner und war 1992-2007 in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Pandemie-Prävention und -Bekämpfung tätig. Er entwickelte ein Influenzaprogramm und war 2003 beim Ausbruch von SARS als Koordinator verantwortlich. Seine Forschergruppe entdeckte SARS-Cov-1 als Erreger der Krankheit. Er erlebte die Vogelgrippe und die Schweinegrippe als führender Mitarbeiter der WHO und dann als Experte in der Pharmaindustrie. Stöhr wechselte zu Novartis, heute ist er unabhängiger Berater.

Stoehr Talk web

Klaus Stöhr in einer der vielen Diskussionssendungen zu Corona. © Libratus Screenshot ServusTV.

Stöhr zählte zu den Befürwortern der Corona-Impfung, allerdings in differenzierter Weise. Während der Corona-Pandemie erklärte er mehrfach, dass etliche Maßnahmen unnötig, wenn nicht schädlich seien. So etwa warnte er vor der Impfung von Kindern und Jugendlichen, dies vor dem Hintergrund der schweren Nebenwirkungen bei der Schweinegrippe-Impfung.

Im Gespräch mit „Libratus“ sieht er dennoch die Impfpflicht in Österreich sehr kritisch, denn eine Herdenimmunität sei damit nie zu erreichen gewesen. Da sich das Virus über den Bereich Nase, Mund und Schleimhaut verbreite, sei eine Verhinderung der Ansteckung durch einen Impfstoff rein biologisch gar nicht möglich gewesen, erklärt Stöhr. „In der Pharma-Industrie wissen sie das, sie hätten nie einen Auftrag angenommen, der die Ansteckung verhindern soll“, meint Stöhr, der selbst viele Jahre für die Impfstoffentwicklung verantwortlich war.

Journalisten als Aktivisten

Wenn das bekannt war, wieso griff man dann zu diesen völlig verfehlten Maßnahmen? „Alle hatten Angst, es war eine Panikreaktion, es war ein institutionelles Versagen.“ Besonders von Angst befallen seien Politiker und Journalisten gewesen: „Sie wurden zu Aktivisten und dachten, sie müssten etwas Gutes tun.“ Mit auslösend seien die Bilder von Bergamo gewesen, glaubt Stöhr. „Das war damals ein Missverständnis. Es handelte sich in Bergamo um die Auswirkungen der Kollabierung des lokalen Gesundheitswesens.“ Die Krankenhäuser seien voll gewesen, dann verlegte man die Kranken in die Altenheime, und dann ging es richtig los.

Bereits damals gab es Hinweise, dass die lokalen Behörden hier total versagten. Und es wurden – absichtlich und unbeabsichtigt – Panik auslösende Bilder produziert. „In den acht LKWs lag jeweils nur ein Sarg“, erklärt Stöhr die prägenden Bilder der Militär-LKWs aus Bergamo. Dies sei eine Anordnung der lokalen Behörden gewesen, wegen der Ansteckungsgefahr. „Tote scheiden aber kein Virus aus.“

„Politiker nichts verstanden“

Warum kam es dann zu den 2-G-Regeln, der Forderung nach 1-G und einer Impfpflicht? Die Politiker hatten sich ja damals auf „die Wissenschaft“ berufen? „Die Politiker haben das alles nicht verstanden“, kritisiert Stöhr. So etwa beende nicht ein Impfstoff eine Pandemie, sondern die Immunität der Menschen. Man bleibe trotz Impfung ansteckend, könne vielleicht schwere Erkrankungen reduzieren. „Das Virus zirkuliert weiter, das ist durch die Impfung unbeeindruckt.“

Das Grundproblem sei gewesen, meint Stöhr, dass es kaum echte Experten gebe, viele Mediziner hätten nur ein oberflächliches Wissen von Vakzinologie und Epidemiologie. „Man muss aber den Überblick haben“, meint Stöhr. So etwa müsse man die Kollateralschäden beachten und abwägen zwischen Nutzen und Schaden. Auch habe man den Genesenen-Status ignoriert, obwohl die natürliche Immunität einen besseren Schutz biete als eine Impfung.

Verbrechen gegen Menschlichkeit

Einer jener wenigen Experten in den betreffenden Fachbereichen ist Martin Haditsch. Der gebürtige Österreicher ist im Bereich Humanmedizin Facharzt für Virologie, Epidemiologie, Hygiene, Mikrobiologie und Infektiologie, sowie für Tropenmedizin. Im Unterschied zu seinem Kollegen Stöhr sah er die Impfung stets sehr kritisch, die er stets als „Spikung“ bezeichnete, und warnte vor den schweren Nebenwirkungen. „Die Verabschiedung des Impfpflichtgesetzes, speziell in der Situation, dass die mildere Omikron-Variante bereits zirkulierte, war völlig unnötig und äußerst risikobehaftet. Es handelte sich zu diesem Zeitpunkt ja um experimentelle Substanzen“, meint er im Gespräch mit „Libratus“. Das Gesetz sei daher grundsätzlich abzulehnen gewesen und ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Dass man es damals eben nicht besser gewusst habe oder nur Leben retten wollte, lässt Haditsch nicht gelten. „Die Experten“ seinen nur einzelne, gezielt ausgewählte Personen gewesen. Es habe zahlreiche Gegenstimmen, sowohl aus der Medizin als auch von Anwälten gegeben. So etwa hätten die „Anwälte für Grundrechte“ jeden Mandatar vor der Abstimmung angeschrieben und Argumente angeführt, warum man dagegen stimmen solle. Und tatsächlich gab es eine enorme Zahl von Stellungnahmen und eine Informationsveranstaltung im Parlament. Es erging ein Schreiben der „Wissenschaftlichen Initiative Gesundheit für Österreich“ – unterschrieben von 600 Ärztinnen und Ärzten – an jeden Abgeordneten, das auch veröffentlicht wurde. Darin wurden detailliert die Studien und Erkenntnisse angeführt, die gegen die Impfpflicht sprachen.

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Martin Haditsch befragte Top-Experten auf der ganzen Welt in einer Doku-Serie für ServusTV. © Libratus Screenshot.

„Angesichts der Tragweite der Entscheidung hätten alle Argumente und Fakten detailliert geprüft werden müssen“, meint Haditsch. Außerdem gebe es das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, dies sei verletzt worden. Noch dazu, da es mildere Maßnahmen gegeben habe, um das gleiche Ziel zu erreichen.

Das Argument des Schutzes der Allgemeinheit gelte auch in anderer Hinsicht nicht: „Spätestens seit dem Hearing mit Janine Small von Pfizer vor dem EU-Parlament (im Oktober 2022, Anm.) ist bestätigt, dass die Frage der Übertragung bei den Impfstoffen nie geprüft wurde“. Und es sei früh evident gewesen, dass eine Übertragung des Virus durch diese Stoffe nicht verhindert werden könne, ist sich Haditsch mit Stöhr einig.

Modellierer lagen stets falsch

Eines der Argumente für Lockdowns (im Winter 2021/22 nur noch für Ungeimpfte), die 2-G-Regelung und die Impfpflicht war seitens der Politik, die Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. Müsse man das nicht gelten lassen? „Da muss man die Frage stellen, ob die Krankenhäuser wirklich überlastet waren? Hätte das wirklich einen Beitrag geleistet? Es war nie so, sie waren nie überlastet“, erklärt Stöhr.

Stöhr warnt daher davor, in so einer Situation die Entscheidungen nur einigen wenigen zu überlassen. „In der Seuchenbekämpfung gibt es nur wenige Experten. Man kann nicht Intensivmedizinern und Modellierern die Entscheidungsbefugnis geben.“ Ein exponentielles Wachstum gebe es in Pandemien nicht, kritisiert er die Aussagen der Modellrechner bei Corona. Die Prognosen und Modelle bildeten jeweils die Grundlage für die politischen Entscheidungen, waren jedoch falsch oder verzerrend.

Fehler verdrängt, keine Einsicht

Wichtig wäre es daher, aus den Fehlern zu lernen. Die meisten Kollegen hätten dies verstanden, bis auf einige Ausnahmen, wie die deutsche Intensivmedizinische Gesellschaft. „Die haben es nicht verstanden.“ Und auch die Politik verweigere das Eingeständnis. „Wenn jemand einen Fehler macht, will er meist nachher nichts davon wissen“, bedauert Stöhr. Fehler würden weggeschoben, verdrängt, es gebe sehr viel Verdrängung, bewusst oder unbewusst.

„Jetzt ist leider nicht die Aufarbeitung das Wichtigste, sondern das Gesicht zu wahren“, kritisiert Stöhr. Dabei wäre es wichtig, aus den Fehlern zu lernen, aber nur wenige seien einsichtig.

Gesetz wieder abgeschafft

Das Impfpflichtgesetz samt Begleitgesetzen wurde in Österreich im Juli 2022, fünf Monate nach dem Beschluss, wieder abgeschafft. Und zwar einstimmig. Beschlossen wurde es mit den Stimmen der ÖVP, den Grünen und der SPÖ (bis auf eine Gegenstimme). Bei den Neos stimmten 4 Abgeordnete dagegen, bei der FPÖ alle. Der Rest der Abgeordneten hatte sich krank gemeldet, teilweise um nicht mitstimmen zu müssen.

Dennoch ist nach Ansicht von Haditsch die Sache damit für die Abgeordneten noch nicht erledigt. „Die Abstimmung ist namentlich bekannt. Die Betreffenden müssen damit rechnen, dass sie irgendwann angeklagt werden“, denn Verbrechen gegen die Menschlichkeit würden nicht verjähren.

Zögerliche Aufarbeitung

Die juristische Aufarbeitung laufe nur zögerlich an. Es gebe zwar schon etliche Anzeigen, aber: „Solange in Österreich eine weisungsgebundene Staatsanwaltschaft von der Politik abhängig ist, die Untersuchungen verhindern kann, ist eine Aufarbeitung schwierig“, glaubt Haditsch. Die Staatsanwaltschaft und der Oberste Gerichtshof seien dringend reformbedürftig. Das Prinzip der Gewaltenteilung müsse wiederhergestellt werden. „Zuvor werden die betreffenden Politiker alles tun, um eine Aufarbeitung zu verhindern.“

Gudula Walterskirchen

Herausgeberin Libratus

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