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Plakat im Hintergrund Mensch mit Rucksack
Die Donnerstagsdemos haben bereits Tradition (Bild vom November 2019). © CommonsWikimedia.

Was die ewigen Warner gern verdrängen

Die altbekannten Mahner sind wieder da. Sie warnen donnerstags vor der Diktatur. Sie ziehen in den internationalen Medien mit ihren alten Hüten umher und buhlen um Aufmerksamkeit. Es geht um viel, denn Österreich droht offenbar in die Diktatur abzugleiten. Doch stimmt das?

Gudula Walterskirchen | Kommentar | 24. Januar 2025

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In Österreich geht es wieder los. Fast ist es zu einer Tradition geworden: Kaum zeichnet sich ab, dass sich eine Regierung ohne Beteiligung einer linken Partei bildet, ziehen sie los: Die Besorgten, die Warner, die Künstler, neuerdings die Omas, die Demokratiebewahrer und Diktaturverhinderer. Auch die über die Jahrzehnte liebgewonnene Tradition der sogenannten „Donnerstagsdemos“ wurde reaktiviert, um eine Regierung unter Führung der FPÖ zu verhindern, dagegen „aufzustehen“. Ungeachtet des Ergebnisses einer demokratischen Wahl.

Dazu genügt es nicht, im Inland mutig zu sein, sondern auch das Ausland muss mithelfen. Viele altbekannte Namen, von denen man in den letzten Jahren nichts mehr hörte, tauchen da wieder auf. Bereitwillig liefern sie die Stichworte, gerieren sich als wortgewaltige Heroen, um das Schlimme, das Entsetzliche zu verhindern. Der Schriftsteller Doron Rabinovici etwa sieht Österreich in den Armen eines „völkischen Kanzlers“, wie er den „Deutschlandfunk“ kürzlich wissen ließ. Kickl gefährde die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit sei bedroht.

Faschismus in Österreich!

In der FAZ durfte er einen Gastbeitrag verfassen mit dem vielsagenden Titel: „Wird in Österreich nun der Faschismus ausbrechen?“ Die Antwort ist klar und soll abschreckend wirken: In Österreich lasse sich künftig studieren, was geschehe, wenn Rechtsextreme auch in Berlin eines Tages an die Macht kämen.

Und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hörte „ein Ungeheuer atmen“ und den „Atem der Demokratie schwächer werden“. Ihr Text wurde bei einer Großdemo, organisiert von Gewerkschaft, Arbeiterkammer, SPÖ und Grünen verlesen. Diese fand allerdings schon vor einem Jahr statt – zu diesem Zeitpunkt waren die Grünen noch in der Regierung, doch die FPÖ in Meinungsumfragen auf dem ersten Platz gelandet. Man war mit den Warnungen also schon früh dran.

Nun ist es, geht es nach den Besorgten, besonders ernst, denn nun zeichnet sich ab, dass erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik eine Partei des sogenannten „Dritten Lagers“ den Regierungschef stellen könnte. Damit, so warnen sie, steht das Land unmittelbar vor der Diktatur.

Was in linken Kreisen gerne verdrängt, ja vielleicht mittlerweile vergessen wird, ist, wer eigentlich zuerst in Österreich mit der Freiheitlichen Partei einen Pakt schloss. Das war nicht die bürgerliche Volkspartei, sondern der legendäre sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky.

An die Macht dank FPÖ

Wir erinnern uns: Die SPÖ konnte bei der Nationalratswahl1970 zwar den ersten Platz erringen und die absolute Mehrheit der ÖVP brechen, schaffte allerdings selbst keine Absolute. So ging Kreisky das Wagnis einer Minderheitsregierung ein, um sich die Macht zu sichern. Er paktierte mit der FPÖ, zwar nicht in einer Koalition, sondern diese sollte im Parlament Mehrheiten beschaffen.

Zu dieser Zeit war der Parteichef der Freiheitlichen ein gewisser Friedrich Peter, ehemaliger Obersturmbannführer der Waffen-SS. Ihm wurde vorgeworfen, an Aktionen gegen Juden im Dritten Reich beteiligt gewesen zu sein. Diese Tatsache hinderte Kreisky, der ja selbst jüdischer Abstammung war, nicht daran, mit ihm einen Pakt zu schließen. Die Proteste seitens des Jüdischen Weltkongresses und anderer Organisationen ignorierte er stets.

Am heftigsten attackiert wurden er und seine Regierung von Simon Wiesenthal. Dieser hatte in Wien das „Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes“ gegründet. Wiesenthal protestierte nicht nur gegen den Pakt mit Friedrich Peter, sondern auch gegen etliche Mitglieder der SPÖ-Minderheitsregierung. Gleich sechs Minister hatten eine NS-Vergangenheit, einer davon bei der SS. Diese Regierungszeit brachte dennoch für Österreich wichtige Reformen und modernisierte das Land.

Oesterreichische Bundesregierung Kabinett Kreisky I web

Das Kabinett Kreisky I beim Amtsantritt 1970. © CommonsWikimedia.

Kreisky machte aber nicht nur als erster gemeinsame Sache mit der FPÖ, er verhalf ihr im Gegenzug auch zu einer stärkeren Position. Als Gegenleistung für die Unterstützung änderte er nämlich das Wahlrecht, wodurch Kleinparteien bei der Mandatsverteilung bevorzugt wurden. Und dies nützte vor allem der FPÖ. Und es schadete vor allem der ÖVP – dies war auch das strategische Ziel des klugen Polit-Strategen Kreisky: das bürgerlich-konservative Lager zu spalten.

Kreisky verteidigte Peter stets auch gegen alle Anschuldigungen, bis er dann beim nächsten Wahlgang auch ohne FPÖ regieren konnte. Allerdings hatte er sich aus Sorge, dass die SPÖ keine absolute Mehrheit würde erreichen können, bereits auf eine formelle SPÖ-FPÖ-Koalition vorbereitet. Bei dieser sollte Friedrich Peter Vizekanzler werden.

Streit Kreisky - Wiesenthal

Zu diesem Zeitpunkt, unmittelbar nach der Nationalratswahl 1975, erreichten die Auseinandersetzungen zwischen Kreisky, Peter und Wiesenthal ihren Höhepunkt. Wiesenthal machte öffentlich, dass die SS-Einheit Peters an Massenmorden an Juden beteiligt gewesen sei, sowie an sowjetischen Kriegsgefangenen. Kreisky wiederum meinte, dass er dies nicht glaube und warf im Gegenzug Simon Wiesenthal vor, Mafia-Methoden anzuwenden, außerdem sei dieser selbst Informant der Gestapo und Kollaborateur gewesen. Dies führte dazu, dass dem Juden Kreisky Antisemitismus vorgeworfen wurde. Das Ganze endete in einem Gerichtsverfahren, Kreisky musste seine Aussagen zurückziehen.

1983, als Kreisky die absolute Mehrheit wieder verlor, ging die SPÖ die erste formelle Koalition mit der FPÖ ein. Diese hielt bis 1987. Zur Verteidigung dieses neuerlichen „Sündenfalls“ wurde stets vorgebracht, mit Norbert Steger habe es damals ja einen Liberalen an der Spitze der FPÖ gegeben. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn in der Regierung vertreten war auch der andere Flügel, wie etwa Friedhelm Frischenschlager, der Mitglied einer schlagenden Burschenschaft war. Doch auch damals gab es keine Anzeichen, dass man in eine Diktatur zurückfallen würde.

Aufstieg Jörg Haiders

Es folgte eine Zeit der großen Koalitionen, die mehr Ruhe und Stabilität brachten. Allerdings waren sie überschattet von Parteiproporz und Misswirtschaft. Man teilte das Land untereinander auf. Dies stärkte im Lauf der Zeit die Opposition – die neugegründeten Grünen und vor allem die FPÖ unter Jörg Haider.

Zur ersten Zusammenarbeit mit der Volkspartei auf Bundesebene kam es bekanntlich 1999. Die schwarz-blaue Koalition unter Wolfgang Schüssel war begleitet von internationalen Protesten und von Sanktionen der übrigen EU-Länder gegen Österreich. Das Land wurde unter Beobachtung gestellt, ob es denn nun weiter die rechtsstaatlichen Prinzipien achten würde. Dies war bei früheren Koalitionen zwischen SPÖ und FPÖ nie ein Thema gewesen. Die Zusammenarbeit hielt die gesamte Legislaturperiode. Und unter Sebastian Kurz ging man wieder mit der FPÖ zusammen – bis zum Ibiza-Skandal.

Verblasster Aufkleber vom Netzwerk gegen schwarz blau mit Kurz Kickl und Strache web

Proteste gab es auch bei der Koalition zwischen Sebastian Kurz (VP) und Heinz Christian Strache (FP). © CommonsWikimedia.

Nun verhandelt FPÖ-Chef Herbert Kickl wiederum mit der ÖVP, diesmal aus der Position des Stärkeren. Ob erfolgreich, wird sich zeigen. Übrigens haben etliche SPÖ-Politiker angekündigt, beim Scheitern als Alternative bereit zu stehen.

Koalitionen mit der FPÖ sind also nichts Neues. Somit handelt es sich bei den Protesten offenbar nicht um echte Besorgnis, sondern eher um den Frust jener, die erkennen müssen, dass sich die Spielregeln der Demokratie nicht nach Theaterstücken und Buchtiteln richten. Und man wird den Verdacht nicht los, dass das eigentliche Motiv der Warner und Mahner aus der Kulturszene nicht die Sorge um die Demokratie, sondern die Sorge vor Bedeutungsverlust und einer leeren Geldbörse ist.

Üppige Kulturförderung

Denn in den letzten Jahren wurde von der grünen Kulturstaatssekretärin das Füllhorn ausgegossen, zusätzlich hatte man sich gegenseitig ausgezeichnet, sowie Aufträge und Posten vergeben. Ganz wie in jenen Zeiten, als ÖVP und vor allem SPÖ das Kulturressort innehatten. Die schaute auf die Künstler und wusste sie bei Laune zu halten. Der Schriftsteller Robert Menasse, der den Kampf gegen Rechts zu seiner Lebensaufgabe und zum Inhalt seiner Werke gemacht hat, erhielt 2023 den „Bruno-Kreisky-Preis“. Erster Preisträger war Henning Scharsach für sein Anti-Haider-Buch „Haiders Kampf. Dass ausgerechnet Kreisky die FPÖ salon- und regierungsfähig gemacht hatte, hat man offenbar verdrängt.

Agitation gegen "Staatskünstler"

Mit der FPÖ, so fürchtet man, könnte sich das Werben um die linke Kulturszene rasch ändern. Denn die haben die „Staatskünstler“ stets gebrandmarkt – kein Wunder, die FPÖ war ja auch das Hauptthema und Ziel derer Attacken. Und nun fürchtet man die Revanche. Im Wahlkampf hatte die FPÖ den Slogan propagiert: „Können fördern statt Staatskünstler subventionieren!“ Man wolle „woke Events“ nicht mehr mit Steuergeldern subventionieren. Dies erfolgte in Anspielung auf Skandal-Aufführungen wie die Eröffnung der Kulturregion Salzkammergut oder der ebenso skandalträchtigen Eröffnung der Wiener Festwochen. Man müsse daher die „Förderpolitik unter die Lupe nehmen“ – übersetzt heißt das, den Geldhahn zudrehen.

Das ist nicht nett, kann Existenzen bedrohen und der Protest der Schauspieler und Autoren ist damit verständlich. Dennoch sollte man für die Wahrung eigener Interessen nicht (schon wieder) das ganze Land in Geiselhaft und die angeblich dräuende Diktatur zum Vorwand nehmen.

Gudula Walterskirchen

Herausgeberin Libratus

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