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Unwetter über Budapest bei Nacht
© Bild:123RF Bildagentur; A. Mazurkevich.

Wie gefährlich sind NGOs für die Demokratie?

Zwischen der EU und Ungarn steht wegen des geplanten "Transparenzgesetzes" eine epische Schlacht bevor. Denn Ungarn will „ausländische Finanzierung” für Medien und NGOs einschränken. Das aber ist ein wichtiges Werkzeug der EU, um Europa politisch umzugestalten.

Boris Kálnoky | Politik | 30. Mai 2025

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Am 6. Dezember annullierte das rumänische Verfassungsgericht die bereits erfolgte und von ihm selbst validierte erste Runde der damaligen Präsidentschaftswahl. Zur Begründung hieß es, eine ausländische Macht habe, mit Geld, die öffentliche Meinung in Rumänien beeinflusst, das Wahlergebnis entspräche daher nicht dem „wahren Wählerwillen”.

Die Europäische Kommission hatte damit kein Problem („Sache der Nationalstaaten”), und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch nicht („nicht zuständig”). Dass aber die Abwehr ausländischer Einflussnahme, insbesondere durch Geld, auf die politische Willensbildung eine Gefahr für die Demokratie darstellt und bekämpft werden muss, das ist seit 2023 ein Hauptanliegen der EU Kommission und führte 2024 auch zu legislativen Schritten. 

Einigkeit EU und Ungarn

Endlich etwas, worin die EU und die ungarische Regierung sich einig sind, sollte man meinen – denn in Ungarn liegt ein Gesetzentwurf vor dem Parlament, der genau dies zum Thema hat: Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch ausländische Geldgeber offenzulegen und einzuschränken.

Das Problem: Während der EU eine Einflussnahme durch Russland und China ein Gräuel ist, geht es im ungarischen Gesetz de facto wahrscheinlich eher um Einflussnahme durch die USA und die EU. Die hat umgehend scharf regiert und Konsequenzen angedroht

Umstrittene Novelle

Die Novelle des Transparenzgesetzes von 2023 sieht vor, dass eine sogenannte Transparenzbehörde Organisationen durchleuchten kann, die „Unterstützung aus dem Ausland” erhalten und Einfluss nehmen auf die öffentliche Meinung in einer Art und Weise, die die „Souveränität des Landes” (interpretiert als freie Willensbildung des Volkssouveräns, also der Wähler) gefährdet. 

Das Gesetz listet eine Reihe von Inhalten auf, die die Souveränität gefährden. Alles in allem geht es dabei um Narrative, die sich gegen grundlegende Verfassungswerte richten. Etwa, Ungarns Identität als rechtsstaatliche Demokratie anzuzweifeln (in Deutschland würde das wahrscheinlich unter dem Begriff „Delegitimierung des Staates” laufen), oder die sich gegen den Schutz der traditionellen Familie positionieren.

Weiterhin Meinungsfreiheit

Solche Inhalte werden nicht verboten, es herrscht Meinungsfreiheit – ein Problem wird es erst in Kombination mit „ausländischer Unterstützung”. Im Klartext: Medien und NGOs, die ohne Zuwendungen aus dem Ausland nicht existieren könnten, und sich darauf konzentrieren, der Regierung schlimme Vorwürfe zu machen, oder Migration zu fördern, oder sich für mehr LGBTQ-Rechte einsetzen, bekommen Probleme.

Das beginnt damit, dass auf Vorschlag der Souveränitätsbehörde die Regierung solche Organisationen auf eine Art Schwarze List setzen kann. Ausländische Zuwendungen dürfen dann nur noch mit behördlicher Erlaubnis angenommen werden, die Leiter solcher Medien und NGOs werden zu Personen des öffentlichen Lebens erklärt und müssen Vermögenserklärungen abgeben. Und wenn ihre Organisationen weiterhin ohne Erlaubnis aus dem Ausland Geld annehmen, müssen sie hohe Strafen zahlen. Wenn sie das nicht tun, können sie am Ende geschlossen werden. 

Was steckt dahinter?

Drei grundlegende Erfahrungen der letzten Jahre geben den Hintergrund für die Maßnahme. Bei den Wahlen 2022 erhielten Organisationen, die der damaligen Opposition im Wahlkampf halfen, Spenden in Höhe von mehreren Millionen Dollar von einer NGO namens „Action for Democracy”

Wahlkampffinanzierung aus dem Ausland ist in Ungarn seit 1990 verboten.

Auch eine Organisation im Umfeld des liberalen Bürgermeisters von Budapest, Gergely Karácsony, geriet in Erklärungsnot, als ihre eigene Bank Ermittlungen wegen Geldwäsche einleitete. Die OTP-Bank zeigte ihren Kunden, die NGO „Bewegung 99” beim Finanzamt an, weil sie es für „unwahrscheinlich” hielt, dass die von der Organisation eingezahlten hohen Euro-Beträge wie angegeben von privaten Spendern stammten. Es handelte sich um Bargeld – Euroscheine, die laut Bank alle brandneu und nie benutzt worden waren, mit aufeinander folgenden Seriennummern. 

Karigeri webBudapests Bürgermeister Gergely Karácsony bei einer Rede 2022. © Karigeri/CommonsWikimedia.

Drittens wurde nach dem Antritt Donald Trumps als US-Präsident die Regierungsagentur USAID unter die Lupe genommen und drastisch reduziert. Dabei zeigte sich, dass die Agentur Medien und NGOs in aller Welt finanziert hatte, um amerikanische Interessen zu fördern – auch in Ungarn. Derzeit versucht Ungarn, nähere Informationen darüber zu bekommen, welche Medien und NGOs zu welchem Zweck von USAID finanziert wurden. Vorerst verweigerten die USAID-Mitarbeiter diese Informationen, offenbar aus Sorge, dass die von ihnen unterstützten Organisationen in Ungarn Unannehmlichkeiten bekommen könnten. 

Da  die amerikanischen Gelder nun nicht mehr fließen, auch nicht für „Radio Free Europe”, übernimmt offenbar bald die EU deren Finanzierung, zumindest teilweise. Hinzu kommt, dass die EU selbst Tausende NGOs mit insgesamt Milliardenbeträgen finanziert, und auch Medien  - wie in Ungarn das Nachrichtenportal „Telex“. 

Transparenz darüber, wer das Geld bekommt und wofür, gibt es nicht wirklich. Immerhin ist klar, dass mehr als 40 Millionen Euro an zumeist regierungskritische ungarische NGOs vergeben wurden. 

Radio Freies Europa Neopaint Works 2023 webRadio free Europe sendet seit 1956, dem Jahr des Aufstands gegen die Kommunisten, in Ungarn. © CommonsWikimedia.

Nun ist es so, dass die ungarische Regierung davon ausgeht, dass die EU selbst nichts unversucht lassen will, um die Opposition vor der nächsten Wahl zu stärken – endlich weg mit dem immer so kritischen Orbán. In diesem Sinne, und in einer Situation, wo nach dem Wegfall amerikanischer Gelder nun die EU selbst zur hauptsächlichen Geldquelle für regierungskritische Medien und NGOs in Ungarn wird, ist es durchaus denkbar, dass die ungarischen Behörden EU-Gelder für solche Organisationen als „ausländische Unterstützung” werten – und die betroffenen Organisationen dann entsprechend unter Druck geraten.

Brutale Konfrontation

Das wäre der Beginn einer brutalen juristischen und politischen Konfrontation zwischen der EU und Ungarn. Denn im Sinne des EU-Binnenmarktes gibt es rein rechtlich keine „Ausländer” und auch keine ausländischen Zuwendungen – alle EU-Bürger, Institutionen, Organisationen sind „EU-Inland”. Anders als in früheren Konflikten wird die EU sagen können, dass Ungarn das Grundprinzip des Binnenmarktes missachtet. Dies dürfte eine epische Schlacht werden, deren Ausgang über weit mehr als nur die ungarischen Wahlen entscheiden mag.♦

Boris Kálnoky

Autor bei Libratus

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