
Wer am Krieg verdient
Die Wirtschaft steckt in einer tiefen Rezession. Doch eine Branche erlebt einen Boom, die Aktienkurse gehen durch die Decke: Nach der Pharma- wird nun in der Rüstungsindustrie das große Geld verdient. Und auch EU-Politiker und ihr Umfeld kassieren kräftig ab. Ein Zufall?
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Im südlichen Weinviertel steht ein Schloss, umgeben von einem großen Park. In diesem befindet sich ein Hügel, darauf ein kleines Gebäude und etliche Steinfiguren. Es handelt sich um den „Heldenberg“ mit einem Mausoleum für einen berühmten Feldherrn: Josef Wenzel Graf Radetzky.
Das Schloss wurde 1849 errichtet von Joseph Pargfrieder. Heute würde man ihn als „Self-made-man“ bezeichnen. Er war Tuchfabrikant, und er war Heereslieferant der k.u.k. Armee. Gute Kontakte zur Heeresleitung, wie eben zu Radetzky, waren da hilfreich. Da Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere Kriege führte, war der Bedarf an Ausrüstung für die Soldaten groß. Pargfrieder machte ein Vermögen. Als letzten großen Coup „kaufte“ er dem ständig in Geldnot befindlichen Radetzky den Leichnam ab – dieser sollte eigentlich in der Kaisergruft bestattet werden, eine große Ehre. Doch Pargfrieder sorgte dafür, dass er am Heldenberg begraben wurde, damit der Kaiser zu ihm pilgern musste.
Leid und Vermögen
Diese Geschichte ist stellvertretend für viele andere, in denen der Krieg den einen Leid und Verarmung brachte, anderen jedoch zu riesigen Vermögen verhalf. So etwa der Familie Thyssen: August Thyssen gründete Ende des 19. Jahrhunderts das Unternehmen, das im Ersten und Zweiten Weltkrieg durch Eisen sowie Stahl- und Rüstungsproduktion seine Hochblüte erreichte. Sein Sohn Fritz Thyssen zählte zu den Financiers der aufstrebenden Nazis, brach 1939 mit der Partei und flüchtete, wurde jedoch gefasst und ins KZ deportiert.
Fritz Thyssen im Jahr 1928. © CommonsWikimedia.
Jedenfalls war das Unternehmen eine wichtige Säule der Kriegswirtschaft der 1930er Jahre. Thyssen fusionierte 1999 mit Krupp zu Deutschlands größtem Stahlhersteller. Das 21. Jahrhundert brachte zunächst kein Glück, nach Krisen und Fehlinvestitionen wurde das Unternehmen filetiert und verkauft, 2012 schrieb man einen Verlust von 1,8 Milliarden Euro.
Seit dem Finanzcrash 2008 war die Rüstungsindustrie in der Krise. Die Ausgaben der europäischen Staaten für Rüstung stagnierten oder wurden drastisch gekürzt. Gleichzeitig musste viel in neue Technologie investiert werden. Rüstung geriet generell in Verruf. Noch vor wenigen Jahren waren Rüstungsaktien für immer mehr Anlegen ein „No go“, in den sehr beliebten Ethikfonds sind Rüstung und bestimmte Pharmabereiche meist ausgeklammert. Bei den Ethik-Aktien der Erste Bank sind die Ausschlusskriterien: Atomenergie, Rüstung, Tabak, Pornographie, Embryonenforschung, Tierversuche, Glücksspiel, Kohleförderung, Fracking, menschenrechts- und Arbeitskontroversen.
Mit der Corona-Pandemie gingen jedoch die Kurse der Pharma-Aktien durch die Decke, was viele Kunden veranlasste, ihre ethischen Bedenken flugs aufzugeben. Nun scheint dasselbe mit den Rüstungsaktien zu passieren.
Zentrale von Thyssenkrupp in Ilsenburg. © CommonsWikimedia.
Denn nach vielen Krisenjahren geht es Thyssenkrupp aktuell plötzlich wieder blendend: In den vergangenen drei Monaten erzielte man einen Kursgewinn von beachtlichen 138 Prozent. Als Grund wird der Umstieg auf „klimafreundliche“ Stahlproduktion angegeben. Doch das Kurswunder dürfte vor allem einen anderen Grund haben, und der heißt Ukrainekrieg und „Rearm Europe“ mit massiven Investitionen und Großaufträgen im Bereich der Rüstungsindustrie.
Rosige Zukunft durch Kriegsangst
Das „Wallstreet Journal“ ortet weitere Höhenflüge an den Börsen auch für die anderen Stahlproduzenten und die Rüstungsindustrie, wie Renk und Rheinmetall. Diese würden vom „EU-Aufrüstungsboom“ und den Milliardenaufträgen profitieren und die Kurse stark steigen lassen. Man spricht von einem „historischen Aufschwung“.
Thyssenkrupp hat einen 1,5-Milliarden-Auftrag erhalten, Renk 1,4 Milliarden mit Aussicht auf noch mehr. Und Rheinmetall rechnet mit einem Umsatzplus von bis zu 40 Prozent allein im heurigen Jahr. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine 2022 hat der Wert der Aktie von 100 Euro auf satte 1200 Euro zugelegt! Tendenz weiter steigend.
Für das französische Rüstungsunternehmen Thales wurde das Kursziel für 2025 von UBS gleich verdoppelt. Bei Renk gab es 90 Prozent plus seit Jahresbeginn, also in nur drei Monaten; fast ebenso viel bei Hensoldt, das Radarsysteme liefert, derzeit vor allem an die Ukraine. Man hat ein neues Werk in Deutschland gebaut und stellt 1000 neue Mitarbeiter ein. Je mehr Krise desto besser, lautet das Credo des Chefs. Seit Beginn des Ukrainekriegs hat sich der Aktienkurs verdreifacht. Doch Konzernchef Dörre meint, da müsse noch mehr gehen, Deutschland müsse 3,5 Prozent des BIP in Rüstung investieren.
Auch beim österreichischen Unternehmen Steyr Motors, das neben Automotoren auch Komponenten für die Rüstungsindustrie liefert, hat sich der Kurswert vervielfacht - obwohl die Autoindustrie schwächelt und Zulieferbetriebe zuletzt große Probleme bekamen. Erst im Oktober ging der Mutterkonzern Mutares mit Steyr Motors in Frankfurt an die Börse. Mitte März gab es plötzlich innerhalb von nur fünf Tagen ein Kursplus von bis zu 900 Prozent. Der Grund: Rheinmetall gab einen Großauftrag an Steyr bekannt, und dann gab es noch einen Auftrag aus Brasilien. Auffallend war, dass der Kurssprung vor der Bekanntgabe des Brasilien-Geschäfts erfolgte. Börsen- und Finanzaufsicht wurden bis dato nicht aktiv.
In der Rüstungsbranche herrscht also Goldgräber-Stimmung. Und wer rechtzeitig vom Aufrüstungsprogramm und den Großaufträgen an die Rüstungsindustrie erfahren und schnell gehandelt hat, hat damit sehr, sehr viel Geld verdient.
EU-Politikerin sahnt ab
Profitieren können auch jene, die gute Kontakte in die Politik haben oder selbst Politiker sind. Die finnische EU-Abgeordnete Aura Salla meinte vor wenigen Tagen bei einer Veranstaltung mit Lobbyisten, sie habe Rheinmetall-Aktien gekauft und rate auch anderen dazu - gleichzeitig fordert sie höhere Verteidigungsausgaben.
Dem Skandal noch nicht genug, waren die Aktienkäufe in den Bekanntmachungen aufgrund der Transparenzrichtlinien für Abgeordnete nicht angeführt. Somit wurde ihr offenkundiger Interessenkonflikt nicht überprüft. Salla offenbarte auch, dass sie bereits im Herbst in Rheinmetall investiert hatte, also noch lange bevor offiziell das neue Aufrüstungsprogramm verkündet wurde.
Die finnische EU-Abgeordnete Aura Salla beim Kongress der Europäischen Volkspartei 2018 in Helsinki. © Commons.
Zu diesem Zeitpunkt legte Mario Draghi seinen Investitionsplan für die EU vor – 750 Milliarden sollten in die Wirtschaft fließen. Dass das gesamte Geld in die Rüstung gehen sollte, war damals der Öffentlichkeit noch nicht bekannt.
Einer von jenen, die ganz dicht an der Politik dran sind, ist Gundbert Schef. Schef kam von McKinsey, war unter Ursula von der Leyen im Verteidigungsministerium an zentraler Stelle. Danach gründete er das Rüstungsunternehmen Helsing. Dieses hat sich auf Drohnen spezialisiert, Kampfdrohnen um genau zu sein. Diese werden bereits im Ukrainekrieg getestet und eingesetzt. Nun hat er der EU das Angebot gemacht, einen „Drohnenwall“ binnen eines Jahres zu errichten, um potenzielle russische Drohnenangriffe abzuwehren. Verkündet hat er dies am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz, wo er dabei war.
Goldgräberstimmung
Binnen eines Jahres soll dieser "Wall" bereit sein, die Nato-Ostflanke zu sichern, so das Angebot. Kampfdrohnen waren in Deutschland stets umstritten und wurden vor allem von der SPD abgelehnt. Nun ist alles anders und alles möglich. Mit an Bord das französische Raumfahrtunternehmen Loft Orbital, das Aufklärungssatelliten herstellt, und die schwedische Firma Saab, das den Gripen-Kampfjet produziert.
Passend dazu hat der frühere Arbeitgeber von Schef McKinsey eine brandneue Analyse erstellt, wie mit neuen digitalen Technologien in der Rüstung viel Geld verdient werden kann. Somit spielt man einander die Bälle zu.
Früher wurde heftig gegen Rüstung demonstriert: Hier 2012 vor der Zentrale von Rheinmetall in Düsseldorf. © CommonsWikimedia.
Die Verbindung Politik, Lobbyisten und Rüstungsindustrie bekommt derzeit besondere Brisanz. In Brüssel befinden sich laut EU-Transparenzregister 12.500 Lobbyisten (Stand 2023), Transparency International geht von bis zu doppelt so vielen aus; wie viele aus der Rüstungsbranche kommen und mit wie viel Geld sie ausgestattet sind, ist nicht genau bekannt.
Das meiste Geld wird heute aber nicht an den Börsen, sondern außerhalb mit Wetten auf steigende oder fallende Kurse verdient: Differenzkontrakte nennt sich das. Dabei muss man die Aktien nicht besitzen, um zu wetten. Anleger können große Summen mit vergleichsweise geringem Einsatz bewegen. Es ist ein hochriskantes, aber auch hochprofitables Geschäft, vor allem bei stark schwankenden Kursen. Somit ist es wenig verwunderlich, dass die „heißesten Wetten“ seit Bekanntwerden der enormen Investitionen im „RearmEurope“ Projekt die Rüstungsindustrie betreffen.
Manipulation der Öffentlichkeit
Etliche Bürger sind nicht so begeistert von den Aufrüstungsplänen der EU. Um einen Meinungsschwenk herbeizuführen ist es hilfreich, Einfluss auf führende Medien zu haben. Interessant ist daher zu hinterfragen, wem diese Medien gehören. Die traditionsreiche Tageszeitung „La Repubblica“, eine der bedeutendsten Italiens, wurde 1976 gegründet, galt als gemäßigt links und gehörte zum Mondadori-Verlag unter Verleger Eugenio Scalfari. Dieser leitete die Zeitung bis 1996. Im Jahr 2019 kaufte die Familie Agnelli die Zeitung, die sofort den Chefredakteur austauschte, und auch das auflagenstarke Magazin L‘Espresso. Und zum Agnelli-Konzern gehört ebenso das Fahrzeugbau-Unternehmen IVECO, bekannt durch seine LKW. Dieses hat im Vorjahr Kooperationsvertrag mit Rheinmetall abgeschlossen – für Bau von Leopard-Panzern. La Repubblica wiederum macht Stimmung in Italien für das Aufrüstungs-Projekt der EU, man hatte sogar in Rom zu einer Demo aufgerufen, an der etliche Promis aus Film, Architektur und Mode auftraten – mit teils hohen Gagen. Sie machten Stimmung für die Aufrüstungspläne. Und das ergab schöne Bilder von begeisterten Massen, die die Aufrüstung fordern, die in den Medien dann publiziert wurden. Ein Zufall?