
Der unaufhaltsame Abstieg des US-Dollars
Der 9. Juni 2024. Dieses Datum wird man sich ebenso merken müssen, wie 9/11. An diesem Tag hat Saudi-Arabien – eine der mächtigsten Volkswirtschaften des Nahen Ostens und enger Verbündeter der USA - beschlossen, das Petrodollar-Abkommen nicht mehr zu erneuern. Ein folgenschwerer Schritt, der ein finanzpolitisches Erdbeben auslösen könnte.
Diese Zäsur greift nichts weniger als die Stabilität des US-Dollars an, der durch diese Vereinbarung zur weltgrößten Reservewährung aufgestiegen ist und den USA zu einer globalen wirtschaftlichen Vormachtstellung verhalf. Nach Bekanntwerden dieses Schrittes stiegen die Ölpreise in Höhen, wie sie seit Jahrzehnten nicht erlebt wurden. Angetrieben auch von der Angst vor steigenden Kosten im Verkehr, in der Produktion, in der Landwirtschaft und den Haushalten - kurzum, vor steigender Inflation.
Öl ist nach wie vor, trotz gestiegener erneuerbarer Energie, die Hauptschlagader der Wirtschaft. Und das Abkommen Saudi-Arabiens – und das betraf auch die gesamte Opec - Öl nur mehr in Dollar zu handeln, hat den Dollar so stark gemacht, weil es wie eine Golddeckung des Dollars wirkte. Der Goldstandard musste ja 1972 aufgehoben werden, da zu viele Banknoten gedruckt wurden, die nicht mehr durch Gold gedeckt waren. Damit verloren die Anleger ihr Vertrauen in die grüne Banknote, die sich zunehmend als wertloses Papier erwies. Was ist das Petrodollar System?
Am 8. Juni 1974 vereinbarten die USA und Saudi-Arabien folgenden Deal: Die USA liefern den Saudis Waffen und bieten Schutz gegen ihren Erzfeind Israel. Die Saudis sorgen im Gegenzug - auch innerhalb der Opec - dafür, dass Öl nur mehr in Dollar gehandelt und dass ein Großteil der Einnahmen wieder in US-Wertpapieren veranlagt wird.
Genialer Schachzug Kissingers
1973 reiste der damalige US-Außenminister Henry Kissinger nach Saudi-Arabien und fädelte das Petrodollar-Abkommen ein. Damit sicherte er den USA weiterhin ihre globale Machtposition. Denn die ganze Welt war zum Heizen, für die Fortbewegung und zum Produzieren auf Öl angewiesen und daher gezwungen, Dollar zu kaufen und Dollarreserven anzulegen. Das macht die grüne Banknote bis heute zur meistgehandelten Währung der Welt.
Und diese Dollars wurden wieder in das amerikanische Finanzsystem reinvestiert. Die Käufer von amerikanischen Staatsanleihen finanzierten so die US-Infrastruktur, die immerhin 867 US-Militärbasen außerhalb Amerikas in aller Welt, die US-amerikanischen Militärausgaben, die jährlich knapp 1000 Mrd. Dollar (2023: 916 Mrd. Dollar) ausmachen und die wachsende US-Verschuldung.
Das Petrodollar-Abkommen war somit ein genialer Schachzug Henry Kissingers. Nachdem 1972 die Vereinbarung von Bretton Woods, die fast 30 Jahre einen festen Wechselkurs zwischen dem Dollar und den übrigen Währungen garantierte, aufgehoben wurde, machte sich Kissinger Sorgen um die Vormachtstellung der USA. Die Bindung des Ölhandels an den US-Dollar, auch als Petro-Dollar bekannt, war seit der Entkopplung der US-Währung vom Goldstandard im Jahr 1972 ein Grundpfeiler der amerikanischen Wirtschaftsmacht.
Das Ende dieses Petrodollar-Systems könnte die Dominanz des US-Dollars gefährden. Saudi-Arabien wird künftig in vielen Währungen sein Öl verkaufen und am „mBridge-Projekt“ teilnehmen. Das ist eine von Zentral- und Geschäftsbanken gemeinsam genutzte Plattform für digitale Währungen. Bereits vor der Aufkündigung des Petro-Dollar Abkommens ist eine längere „Raus aus dem Dollar“-Entwicklung zu beobachten, die selbst die Federal Reserve Bank, die amerikanische Notenbank, zugeben musste. Dafür gibt es Gründe, die die USA aus ihrer Machtstellung selbst verursachten.
Einsatz des US - Dollars als politische Waffe
Eine der Ursachen, warum der Dollar im internationalen Zahlungsverkehr reduziert wird, sieht Ewald Nowotny, der elf Jahre lang bis Ende 2019 Gouverneur der Österreichischen Nationalbank war, in den US-Sanktionen: Dies sei vor allem eine Reaktion auf den verstärkten Einsatz des US-Dollars als „politische Waffe“, meint er im Gespräch mit „Libratus“.
Ein Indiz für den Rückgang des Dollars sieht Ewald Nowotny auch „in der verstärkten Nachfrage speziell einiger asiatischer Notenbanken nach Gold als Währungsreserve“. 2023 kauften Zentralbanken so viel Gold wie nie zuvor: Fast 1.200 Tonnen – ein Anstieg um 152 Prozent! – verglichen mit dem Jahr 2021. Es kauften insbesondere jene Regierungen viel Gold, die der NATO und den westlichen Industriestaaten kritisch gegenüberstehen. Das sind Staaten im Nahen Osten und Zentralasien, aber auch die Türkei und China. China, das noch immer 800 Milliarden Dollar an US-Schuldscheinen besitzt, kauft in dem Maß Gold an, indem es Staatsanleihen abstößt.
Die hohe Inflation spielte nach Ansicht von Analysten eine geringere Rolle als die Sanktionspolitik der USA und der übrigen G7 Staaten. Es geht um die Verhängung von Finanzsanktionen durch die G7-Staaten gegen Russland als Reaktion auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Anfang März 2022 einigten sich die USA und die EU sowie die Schweiz, den Zugang Russlands zum SWIFT-Zahlungssystem zu unterbinden und die russischen Devisenreserven einzufrieren. Seitdem hat die russische Zentralbank keinen Zugriff mehr auf ihre knapp 600 Milliarden US-Dollar umfassenden Währungsreserven - mit denen sie beispielsweise zwei Jahre lang ihre Importe finanzieren hätten können. Russische Banken wurden also aus dem internationalen Finanzkommunikationssystem SWIFT ausgeschlossen. Ein einmaliger Vorgang, der erstmals gegenüber einer großen Volkswirtschaft verhängt wurde. Der Rubel sackte sofort um 30 Prozent ab, da die russische Zentralbank über Nacht keine Devisenmarktinterventionen mehr tätigen konnte, um den Rubel zu stützen. Deshalb musste die russische Zentralbank die Zinsen drastisch auf 20 Prozent anheben – was die Importe und die Investitionen massiv verteuerte.
Die Sanktionen waren nach Meinung internationaler Finanzanalysten hart, sogar sehr hart.
Der russischen Wirtschaft haben sie dennoch letztlich nicht, und wenn, dann nur kurzfristig geschadet. Doch international wurde damit das Vertrauen in den Dollar massiv erschüttert; Aber auch in den Euro, da ja die Europäer beim Griff nach den russischen Devisenreserven mitgemacht hatten. Die Folge: Viele Länder, darunter die BRICS-Staaten, versuchen sich nun unabhängiger vom US-Dollar zu machen.
Auch der Iran und Venezuela litten sehr unter den US-Sanktionen. So wie der Irak ab 1991. Als die damalige US-Außenministerin, Madeleine Albright, gefragt wurde, ob es sich ausgezahlt hätte, dass die Sanktionen gegen den Irak unter Saddam Hussein, die angeblich 500.000 irakischen Kindern das Leben gekostet haben sollen, gerechtfertigt waren, lautete ihre Antwort: "Es ist diesen Preis wert." Ein Ausspruch, den sie in ihrer Autobiographie später bedauerte.
Gründung der BRICS-Entwicklungsbank
Auch die 2014 erfolgte Gründung der sogenannten BRICS-Entwicklungsbank, der „New Development Bank“, ist eine Folge der US-Sanktionen. Als Gegenstück zur Weltbank soll die „New Development Bank" Infrastrukturprojekte in sich entwickelnden Ländern, die sich keine Dollar-Kredite leisten können, finanzieren. Da die ärmeren Länder ihre Importe in Dollar finanzieren mussten, führte eine Zinsanhebung der amerikanischen Notenbank FED zu einer Aufwertung des Dollars, einer Abwertung der jeweiligen Landeswährung und als Folge zu einer massiven Verteuerung der Importe. Außerdem führten die Zinsanhebung der US-Zentralbank zu einer Kapitalflucht von Großinvestoren aus den ärmeren Ländern, da im Dollarraum höhere Zinsen bezahlt wurden.
Das Bündnis der BRICS-Länder – gegründet von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – will ihren Handel auf eine eigene, goldgedeckte Währung umstellen. Anfang dieses Jahres sind fünf weitere Länder dem Bündnis beigetreten: Iran, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Ägypten und Äthiopien. Sie bilden mittlerweile eine geballte Wirtschaftsmacht: In diesen zehn Ländern leben fast vier Milliarden Menschen, knapp 46 Prozent der Weltbevölkerung! Unter ihnen sind die rohstoffreichsten Länder der Welt. Sie erwirtschaften fast ein Drittel aller weltweiten Bruttoinlandsprodukte.
Dollar weiterhin wichtig
Freilich: Auch wenn es – was selbst die amerikanische Notenbank FED zugibt – eine Absetzbewegung weg vom Dollar gibt, so ist doch der Dollar noch immer die wichtigste Reservewährung und es wird sehr lange dauern, bis ihm irgendeine andere Währung diesen Platz streitig machen kann.
„Insgesamt ist freilich der Dollar nach wie vor die bei weitem wichtigste international genutzte Währung, nicht zuletzt angesichts der Breite und Liquidität der US Geld- und Kapitalmärkte“, meint Ewald Nowotny. doch die Konkurrenz wächst. China hat seinen Handel seit 2022 in Renmimbi (RMB) von vier auf acht Prozent verdoppelt und bereits ein Handelsvolumen von 600 Milliarden US-Dollar auf die eigene Währung (RMB) umgestellt. Bis März 2024 sind das 53 Prozent, die nur mehr in RMB gehandelt werden.
Zwischen China und Russland wird mittlerweile 90 Prozent des Handels nicht mehr in Dollar abgewickelt. Russland will überdies den kompletten Handel mit Euro und US-Dollar von der größten russischen Börse nehmen.
Hauptursachen des Runs weg vom Dollar sind die zunehmende politische Instrumentalisierung des Dollars zur Durchsetzung US-amerikanischer Interessen. Und die berechtigte Sorge, dass die USA in Dollar oder Gold angelegte Währungsreserven einfach blockieren und einfrieren können, wie es jetzt mit Russland der Fall war. Außerdem kann die USA Länder, die den Dollar verwenden, sofort aus dem dominanten SWIFT-Zahlungsabwicklung-System ausschließen. Dies haben sie im Fall Russlands bereits praktiziert. Doch die Ära der Alleinstellung der USA als globaler Finanzmacht geht langsam aber unaufhaltsam zu Ende.