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© Russische Soldaten bei der jährlichen Parade anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs. Bild:123RF Bildagentur; Fotovlad.

Wer hat Angst vor Russland?

Europa rüstet auf. Als Begründung wird angegeben, dass Russland nach der Ukraine auch andere europäische Länder angreifen wird. Selbst das neutrale Österreich sei in Gefahr. „Libratus“ ließ dazu die Österreicher befragen: Nur vier Prozent haben Angst vor einem Angriff auf Österreich, 45 Prozent halten einen Angriff auf ein anderes Land für realistisch.

Gudula Walterskirchen | Politik | 28. März 2025

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Wieder einmal wird ein Schreckensgespenst an die Wand gemalt, Angst und Panik verbreitet. Nun ist es der große Krieg, der von Politik und Medien vorausgesagt wird. Eine der Erzählungen lautet, dass Russlands Präsident Wladimir Putin, nachdem er die Ukraine unterworfen hat, Appetit auf mehr bekommen würde. Er würde seine Truppen Richtung Ungarn marschieren lassen, Orban lasse sie passieren, und dann stünden sie bald in Wien.

Die andere Erzählung besagt, dass Putin nach der Ukraine auch das Baltikum angreifen und sich die ehemals zum Sowjetimperium gehörenden Kleinstaaten – trotz ihrer Nato-Mitgliedschaft – einverleiben würde. Der dänische Verteidigungsminister Troels Lund glaubt, dass Russland innerhalb von drei bis fünf Jahren ein Nato-Land angreifen könnte.

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Hermansfeste, Petersbrücke und Ivangorod: Staatsgrenze zwischen Estland und Russland. © CommonsWikimedia.

Dänemark hat deshalb nun die Wehrpflicht auch für Frauen eingeführt. Dasselbe gelte für Polen, das ebenfalls wie zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zur Beute Russlands werden könnte. Noch vor 2029, wird gewarnt, werde Russland die Nato angreifen, meinte kürzlich der Aufsichtsratschef von Airbus - ein Unternehmen, das in der Rüstungsindustrie hochaktiv ist.

Diese Annahmen bilden die Grundlage für die enormen Aufrüstungspläne der EU- bzw. Nato-Staaten. Eine Trennung ist hier schwerlich vorzunehmen, da diese immer wieder vermengt werden, wie der Gipfel in London mit dem Nicht-EU-Mitglied Großbritannien demonstrierte.

Doch wie sieht es in der Realität aus, wie empfinden die Bürger die Bedrohungslage? Was meinen sie zu den Rüstungsplänen? Speziell im neutralen Österreich, das mit Aufrüstung und Nato eigentlich nichts zu tun hat?

Eine exklusive Studie des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) von Christoph Haselmayer im Auftrag des Libratus Magazins gibt Aufschluss. Diese wurde in der 3. Märzwoche 2025 unter 1060 repräsentativ ausgewählten Erwachsenen durchgeführt. Es wurden drei konkrete Fragen gestellt an Bürger unterschiedlichen Alters, Bildung und Wohnort (Stadt/Land). Auch die Parteipräferenz wurde abgefragt. Hier nun die Ergebnisse im Überblick:

EU-Armee, Nato oder was?

„Sollte eine EU-Armee aufgestellt werden, oder sollte sich jedes Land selbst verteidigen?“

Auf diese Frage waren die Antworten breit gestreut: Die größte Gruppe, nämlich 41 Prozent, sprach sich für eine EU-Armee aus. 20 Prozent der Befragten meinten, die Nato solle die Verteidigung übernehmen – also auch jene Österreichs. 17 Prozent meinten, jedes Land solle sich selbst verteidigen, und insgesamt 21 Prozent würden eine andere Lösung bevorzugen oder waren unsicher. Diese Antworten spiegeln die Konzeptlosigkeit wider, denn es gibt bisher keinen Plan, wie genau diese EU-Armee oder ein Verteidigungskonzept der EU aussehen soll: Was es von der Nato unterscheidet oder deckungsgleich ist, ob es zusätzlich zur Nato aufgebaut sein soll, wer das Kommando hat etc. Konkret wurde nur die Summe von (mindestens) 800 Milliarden Euro genannt.

Große Unterschiede gab es hinsichtlich der Parteizugehörigkeit der Befragten: Während mehr als 60 Prozent der Grünen, Neos und ÖVP-Anhänger für eine EU-Armee plädierten, fand dieses Konzept nur bei 10 Prozent der FPÖ-Wähler Zustimmung. Letztere waren zu einem Drittel der Ansicht, Österreich solle sich selbst verteidigen.

Greift Russland Europa an?

Die zweite Frage lautete: „Halten Sie es für realistisch, dass Russland nach einem Friedensschluss in der Ukraine ein weiteres europäisches Land angreifen wird?“

In diesem Fall hielten es 45 Prozent der Befragten für sehr oder eher wahrscheinlich, dass es zu einem weiteren Angriff kommen könnte, etwa im Baltikum. 49 Prozent halten dieses Szenario für wenig wahrscheinlich oder ausgeschlossen. Auffallend ist hier der große Unterschied hinsichtlich der politischen Orientierung. Gleich 64 Prozent, also zwei Drittel, der ÖVP-Anhänger halten diesen Fall für sehr oder eher wahrscheinlich. Im Gegenzug nur 24 Prozent der FPÖ-Anhänger. Diese meinen zu 74 Prozent, dass dies eher unwahrscheinlich oder ausgeschlossen sei. Bei den SPÖ-Anhängern hält sich die Einschätzung in etwa die Waage.

Keine Angst vor Russen

Spannend auch die dritte Frage: „Haben Sie Angst, dass Russland auch Österreich angreifen wird?“ Diese bezieht sich auf das oft kolportierte Szenario des Durchmarsches durch Ungarn nach Österreich. Hier sind die Gefühle recht eindeutig: 68 Prozent der Befragten meinen, Sie hätten keine Angst oder machten sich kaum Sorgen, dass dieser Fall eintreten könnte. 27 Prozent machen sich Sorgen, und nur 4 Prozent haben große Angst.

Aufschlussreich auch hier die Parteipräferenz: Am relativ größten ist die Sorge bei SPÖ- und Grün-Affinen (38 Prozent der Befragten), am geringsten bei Neos und FPÖ. Ausgerechnet die Anhänger der Neos machen sich am wenigsten Sorgen: 79 Prozent haben keine Angst vor einem russischen Angriff auf Österreich, halten diesen also für unrealistisch. Das sind um 4 Prozent mehr als bei den Anhängern der FPÖ, die sich auch kaum Sorgen machen.

Bei diesem Ergebnis wird offenkundig, dass die Außenministerin und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger bei ihrer Politik nicht einmal die Unterstützung ihrer eigenen Parteibasis zu haben scheint.

„An den Haaren herbeigezogen“

Diese Einschätzung der Befragten in Österreich stimmt mit der Analyse von erfahrenen Militärs überein, wie etwa General Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr und früherer Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Er meinte kürzlich, es gebe keinen Beleg, dass Russland vorhabe, die EU oder ein Nato-Land anzugreifen. Und es sei „an den Haaren herbeigezogen“, dass es in vier Jahren einen Krieg gegen Russland geben werde.

Diese Ansicht teilt auch der frühere österreichische Generaltruppeninspektor Karl Majcen, sowie General Günther Greindl (siehe Gastkommentar in dieser Ausgabe). Als Grund, warum fast alle pensionierten Generäle eine andere Ansicht als die Politik sowie etliche aktive Militärs vertreten, nennt Greindl, dass diese eben nicht öffentlich ihren vorgesetzten Ministern widersprechen könnten.

Zur Bereitschaft in der EU, gegen Russland in den Krieg zu ziehen, gibt es ebenfalls mehrere Umfragen. So etwa sind dies in Italien 14 Prozent, die dies befürworten. Gleich niedrig sind die Werte in anderen westeuropäischen Ländern, auch in Österreich.♦

Zum Weiterlesen:

Hinweis: Das Libratus Magazin gibt es ab sofort auch im Radio!

Am 29. März um 16 Uhr ist auf Radio Klassik Stephansdom die erste Ausgabe von "Libratus on air" zu hören.

Den Link zur Sendung finden Sie hier.

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Gudula Walterskirchen

Herausgeberin Libratus

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