
Die Muslimbrüder und ihr Krieg gegen die Juden
Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 weiß die Welt, dass die Hamas eine antisemitische Terrororganisation ist. Doch dass sie aus der Muslimbruderschaft hervorging, wird oft übersehen – oder bewusst geleugnet. Das Oberlandesgericht Graz geht so weit, diese Verbindung zu bestreiten.
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Am 12. Dezember 2023 fällte das Oberlandesgericht Graz (OLG Graz) einen bemerkenswerten Beschluss: Nach dreieinhalb Jahren stellte es das Ermittlungsverfahren gegen zwei österreichische Staatsbürger ein. Die Staatsanwaltschaft Graz hatte den beiden vorgeworfen, die „Ziele der terroristischen Vereinigungen Muslimbruderschaft und Hamas“ zu unterstützen, Mitglieder zu rekrutieren und islamistische Parallelstrukturen in Österreich aufzubauen.
Beide Männer waren in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren als Flüchtlinge nach Österreich gekommen. In der arabischsprachigen Wiener Islamszene erlangten sie schnell Einfluss und übernahmen Leitungspositionen, etwa in einer 1987 gegründeten Moschee – einer der ältesten und größten der Stadt – und ebenso in einem 1998 geschaffenen islamischen Kulturverein. Einer von ihnen bezeichnete sich 2011 in einem ägyptischen TV-Interview als Führungskraft der Muslimbrüder in Europa.
Islamistische Dokumente „kein Beweis“
Die Ermittler fanden auf den Computern der Verdächtigen brisante Dokumente, wie eine Präsentation mit dem Titel „Grundlagen und Prinzipien der strategischen Führung“. Darin wird unter anderem „die gerechte islamische Auslegung der Scharia, statt den von Menschen gemachten Gesetzen“ propagiert. Weitere Inhalte: die Forderung nach „nationaler, arabischer und islamischer Einheit“, die Regierung sei ein „sozialer Vertrag zwischen der Umma (der islamischen Gemeinschaft, Anm.) und dem Regenten“, und dann wird noch für den „Dschihad“ zur „Befreiung der Heimat und Vertreibung der Besatzer“ geworben. Die Präsentation erwähnt dabei den „Dschihad der Zungen, der Stifte, der Hände, der Herzen“.
Das Gericht wollte in diesen Dokumenten jedoch keine islamistische Propaganda gegen den österreichischen Staat erkennen. Es bemängelte, dass nicht klar sei, „wer die Präsentationen erstellt oder beauftragt hat“.
Antizionistischer Lehrplan
Ein weiteres belastendes Fundstück war ein Lehrplan, der vom islamischen Kulturverein an seinen Wiener Ableger übermittelt worden war. Die Sprache erinnerte stark an Muslimbrüder und Hamas. Darin hieß es unter anderem: „Teilt (?) mit großer Kraft an den Aktivitäten der Befreiung des gesegneten Landes und der Reinigung des Gräuels der Zionisten“, „Bestrebt, all jene zu boykottieren, die die zionistische Entität unterstützen“, „Zeigt Freude mit Märtyreroperationen“, „Viel mehr beten für die Brüder, die Mudschaheddin, in Palästina“, „Verärgert über diejenigen, die hinter der friedlichen Lösung stehen“ und „Fordert die Linken auf, den Dschihad in Palästina zu unterstützen“.
Dem OLG Graz zufolge war aber unklar, wer den Lehrplant „erstellt oder beauftragt“ hat.
Das Oberlandesgericht Graz sieht keinen Zusammenhang. © CommonsWikimedia.
Letztlich wies das Gericht alle Vorwürfe zurück. Es sah keinen hinreichenden Beweis dafür, dass die Verdächtigen tatsächlich terroristische Ziele verfolgt hätten. Der „schlichte Besitz von Dateien mit Bezug zu Muslimbruderschaft, Hamas oder dem Nahostkonflikt“ reiche nicht aus.
Irritierend ist für Kenner der Szene die Einschätzung des OLG Graz zur Verbindung zwischen Hamas und Muslimbruderschaft. Die Richter argumentieren, es könne nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass eine Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft auch eine Mitgliedschaft in der Hamas bedeute. Wörtlich heißt es, die Hamas sei „nicht als Teilorganisation der Muslimbruderschaft“ anzusehen.
Diese Einschätzung stößt bei so gut wie allen internationalen Experten auf Befremden, da sich die Hamas-Führung lange Zeit selbst als Teil der Muslimbruderschaft bezeichnete. Die Terrororganisation gilt als palästinensischer Arm der Bewegung und wird von den Muslimbrüdern nachdrücklich unterstützt. Dieser Umstand erklärt auch die aktuelle Dynamik im Nahen Osten: Vor allem jene arabischen Staaten, in denen die Muslimbruderschaft verboten ist, verfolgen den Krieg im Gazastreifen sehr genau.
Hamas-Kämpfer überfallen am 7. Oktober 2023 jüdische Siedlungen und nehmen zahlreiche Geiseln. © CommonsWikimedia.
Kairo und Amman wehren sich mit allen Mitteln gegen die Aufnahme von Gaza-Bewohnern. In Ägypten wurde die Muslimbruderschaft 2013 verboten und als terroristische Organisation eingestuft, in Jordanien könnte sie bald verboten werden, da sie das haschemitische Königreich zunehmend destabilisiert und Unruhen schürt. Die Beziehungen Israels zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), einem jener arabischen Staaten, mit denen der jüdische Staat seit dem Abraham-Abkommen alle Animositäten für beendet erklärt hat, sind auch anderthalb Jahre nach dem Hamas-Massaker intakt. Kein Wunder: Die VAE bekämpfen und warnen vor der Muslimbruderschaft. Ein Sieg Israels über die Hamas liegt in ihrem Interesse.
Antisemitismus als Fundament
Dass Judenhass ein zentrales Element der Muslimbruderschaft ist, unterstreicht etwa der Islamwissenschaftler und Terrorismus-Experte Guido Steinberg in einem Artikel für das „Deutsche Institut für Internationale Politik und Sicherheit“. Er hält fest: „Judenhass und Antisemitismus der Organisation sind tief in der Geschichte der Hamas, der Muslimbruderschaft in Palästina und der Mutterorganisation in Ägypten verwurzelt.“
In den Jahren vor der Staatsgründung Israels verübten die Muslimbrüder Anschläge auf Juden in Kairo. Ihr Gründer Hassan al-Bannā erklärte 1948 in der „New York Times“: „Wenn der jüdische Staat Wirklichkeit wird, werden die Araber die Juden, die unter ihnen leben, ins Meer treiben.“ Überdies sei „Palästina eine muslimische Frage, keine arabische, denn die Stadt Jerusalem ist der Sitz der El-Aqsa-Moschee“. Fest stehe: „Wir werden niemals den jüdischen Staat akzeptieren.“
Solche Aussagen sind für die Muslimbrüder seither „Programm“, unterstreicht Steinberg: „Das Zusammenspiel der religiös begründeten Aversion gegen die Juden mit der Feindschaft gegenüber ihrem Staat wurde zur Konstante von Theorie und Praxis der Muslimbrüder.“
Die Entstehung der Hamas
Die Hamas entstand als Ableger der Muslimbruderschaft in Palästina. Noch vor der Staatsgründung Israels baute die Bewegung dort Strukturen auf, vor allem im ägyptisch kontrollierten Gazastreifen. Dies geschah unter der Führung von Scheich Ahmad Yasin, einem Muslimbruder und späteren geistigen Führer der Hamas.
Nach dem Sechs-Tage-Krieg gab sich die Gruppe unter israelischer Herrschaft zunächst karitativ, um einer Verfolgung wie zuvor in Ägypten zu entgehen. Yasin erhielt Spenden aus den Golfstaaten und gründete 1973 das „Islamische Zentrum“, den direkten Vorläufer der Hamas. Doch wie auch in anderen Ländern sollten auf „friedliche“ Phasen der Muslimbruderschaft die bewaffneten, gewalttätigen folgen.
Der Startschuss: Die Erste Intifada
Im Dezember 1987, mit Beginn der Ersten Intifada, gründete Yasin die Hamas – die „Bewegung des Islamischen Widerstands“. Ihre Charta ließ keinen Zweifel an ihrer Ideologie. Sie enthielt ein Bekenntnis zur Muslimbruderschaft und zum Dschihad gegen Israel, und sie nannte die Zerstörung des jüdischen Staates samt Errichtung eines islamischen Staates als ihr oberstes Ziel.
Feiern anlässlich des 25. Gründungstages der Hamas in Gaza im Dezember 2012. © CommonsWikimedia.
Die Charta der Hamas ist von Antisemitismus durchzogen und stützt sich auf die „Protokolle der Weisen von Zion“, eine antisemitische Fälschung aus dem Jahr 1903. In diesem Sinne heißt es in der Charta: „Heute ist es Palästina, morgen ein anderes Land oder andere Länder. Der Plan der Zionisten kennt keine Grenzen. Nach Palästina wollen sie ihr Gebiet vom Nil bis zum Euphrat ausdehnen“.
Unter Berufung auf einen angeblichen Ausspruch Mohammeds wird offen das Ziel genannt, alle Juden zu töten: „Das Jüngste Gericht kommt erst, wenn die Muslime gegen die Juden kämpfen und die Muslime die Juden töten“.
Terroranschläge und Machtübernahme
Ab 1994 begann die Hamas mit Selbstmordattentaten, die während der Zweiten Intifada (2000 bis 2005) hunderte Opfer forderten. Im Jahr 2005 zog sich Israel vollständig vom Gazastreifen zurück, „um die Möglichkeit einer Zweistaatenlösung zu testen“, wie Ex-US-Außenminister Henry Kissinger in einem seiner letzten Interviews bemerkte. Das Experiment endete verheerend.
2006 gewann die Hamas die Parlamentswahlen. Ein Jahr später stürzte sie im Bürgerkrieg gegen die Fatah die palästinensische Autonomiebehörde und übernahm die vollständige Kontrolle über den Gazastreifen.
Lange glaubten westliche Beobachter – und selbst manche israelischen Politiker und Geheimdienstler – an eine mögliche Koexistenz mit der Hamas. Der 7. Oktober 2023 belehrte sie eines Besseren: Beim grausamsten Massaker an Juden seit dem Holocaust wurden mehr als 1.100 israelische Zivilisten – darunter Frauen, Kinder und ältere Menschen – brutal ermordet, viele von ihnen zuvor gefoltert.
Hamas täuschte über Verbindungen
In den Jahren vor dem Terrorangriff versuchte die Hamas, ihre Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft aus taktischen Gründen zu verschleiern. Der israelische Terrorismus- und Extremismusexperte Dr. Michael Barak erzählt im Interview mit „Libratus“: „Im Jahr 2017 veröffentlichte die Hamas ein neues Grundsatzpapier, in dem sie behauptete, kein Zweig der Muslimbruderschaft mehr zu sein. Dies geschah aufgrund der Verfolgung der Muslimbrüder in Ägypten, den Golfstaaten und wegen Donald Trumps Präsidentschaft.“
Doch diese Änderung war nur Kosmetik: „Nach 2017 betonten Hamas-Führer weiterhin, dass sie dem Weg von Hassan al-Banna, dem Gründer der Bruderschaft, folgen.“ Die engen Verbindungen zu Muslimbrüdern in der ganzen Welt blieben bestehen, unterstreicht Barak, der an der Reichman University in Herzliya leitender Forscher am Institut für Terrorismusbekämpfung (ICT), sowie Teamleiter der Global Jihad & Jihadi Websites Monitoring Group ist.
Muslimbrüder loben Hamas-Massaker
In London unterhält die Muslimbruderschaft ein Medienbüro, das auf seiner offiziellen Website den Terroranschlag vom 7. Oktober in zahlreichen Pressemitteilungen feierte – wobei die arabische Version noch deutlicher ist als die englische. Besonders gelobt wurde der inzwischen getötete Hamas-Führer Yahya Sinwar, der Drahtzieher des Massakers.
Als Israel auf den Angriff mit einem Krieg gegen die Hamas reagierte, ermunterten die Muslimbrüder die Bewohner Gazas, im Land zu bleiben, sich dem „Widerstand“ anzuschließen – mit dem unausgesprochenen Ziel, das „Martyrium“ zu ertragen und Israel vor der Weltöffentlichkeit als vermeintlich brutalen Unterdrücker der geschmähten Palästinenser zu stilisieren.
Holocaust-Verherrlichung
Im Gazastreifen stießen israelische Soldaten auf das antisemitische Buch „Das Ende der Juden“, verfasst vom Hamas-Mitbegründer Mahmoud al-Zahar. Es rechtfertigt die Ermordung von Juden und verherrlicht die Gewalt gegen sie, erklärte Israels Präsident Isaac Herzog.
Das Cover zeigt einen Dolch, der einen Davidstern durchbohrt. Das Buch lobt den Holocaust und fordert andere Nationen auf, den Nazis zu folgen. Die Kapitelüberschriften lauten unter anderem: „Der brennende Hass der Welt auf die Juden“, „Gründe für die Vertreibung der Juden“. Klassische antisemitische Mythen werden darin ebenfalls verbreitet, wie die Ritualmordlegende.
Einer der führenden Experten für die Muslimbrüder, der Politologe Lorenzo Vidino, bezeichnet den Antisemitismus der Muslimbruderschaft als „wichtigen und großen Teil ihrer Ideologie“. Im Gespräch mit „Libratus“ erklärt der gebürtige Italiener und Direktor des Extremismus-Programms an der George Washington University: „Man kann dem Antisemitismus einfach nicht entkommen, wenn man sich mit der Muslimbruderschaft beschäftigt. Er ist eines ihrer dominierenden Merkmale, historisch und auch aktuell“.
Vidino stieß in einem Zentrum der Muslimbrüder in den USA auf eine antisemitische Schrift mit dem Titel „The Jew – America‘s Greatest Enemy“. Es ist eine Sammlung zahlreicher Texte namhafter Antisemiten, darunter auch Neonazis. Guido Steinberg meint, dass der Hass auf Juden und Israel innerhalb der Muslimbruderschaft sogar als verbindendes Element dient – über interne Differenzen zwischen den nationalen Ablegern hinweg.
Österreichs Verbindungen zur Hamas
Unbemerkt von der österreichischen Öffentlichkeit hat das US-Finanzministerium im Herbst 2024 einen in Wien aktiven palästinensischen Spendensammler ins Visier genommen. Laut einer Presseaussendung ist er „Für die Aktivitäten der Hamas in Österreich zuständig“, „einer der prominentesten Hamas-Vertreter in Europa“, „in engem Kontakt mit hochrangigen Hamas-Führern“, „leitender Funktionär Hamas-naher Institutionen, die Geld an die Organisation überweisen“. Er nimmt im Namen der Hamas an Konferenzen teil und kooperiert mit weiteren Hamas-nahen Gruppen.
Brisant: Der Mann verkehrte bereits in den 1990er-Jahren in jener 1987 gegründeten Wiener Moschee, die auch im Grazer Ermittlungsverfahren gegen die Muslimbrüder eine Rolle spielte.♦
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