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Kirche Hagia Sophia in Iznik, Türkei, mit Minarett Moschee
Die Kirche in Nicäa (Iznik) wurde zur Moschee umgebaut und ein Minarett errrichtet. © CommonsWikimedia.

Moscheen statt Kirchen

Muslime fühlen sich in der EU diskriminiert. „Muslimischer Rassismus“ lautet der Vorwurf. In ihren Herkunftsländern gibt es jedoch oft keine Religionsfreiheit, massive Diskriminierung oder Verfolgung von Nicht-Muslimen.

Gudula Walterskirchen | Gesellschaft | 27. Dezember 2024

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Muslime in Europa fühlen sich diskriminiert. Österreich nimmt dabei gar den Spitzenplatz bei der Diskriminierung ein unter jenen Ländern mit einem erheblichen muslimischen Bevölkerungsanteil. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Europäischen Grundrechteagentur (FRA), die von 2021 bis 2022 durchgeführt wurde. Befragt wurden 9200 Personen in ganz Europa. 

Die FRA hat ihren Sitz in Wien und wird von der EU finanziert. Sie soll auf unabhängiger Basis die Regierungen der EU-Mitgliedsländer beraten. Laut dieser Umfrage haben zwei Drittel der in Österreich lebenden Muslime Diskriminierung erfahren, vor allem bei Wohnungssuche, am Arbeitsplatz und in Krankenhäusern. Interessant ist, dass sich vor allem Jüngere diskriminiert fühlen, ältere muslimische Migranten hingegen kaum. Befragt wurden vor allem Einwanderer aus der Türkei, Syrien, Subsahara-Staaten und dem Norden Afrikas. Diskriminiert fühlen sie sich aber weniger wegen ihrer Hautfarbe, sondern vor allem wegen ihrer Herkunft und Religion. Auffallend ist in dem Report, dass Religion und Rasse gleichgesetzt werden, also die Diktion vom „antimuslimischen Rassismus“ übernommen wird. Und dieser sei laut Studie in Österreich am häufigsten anzutreffen.

Am meisten diskriminiert wegen ihres muslimischen Glaubens fühlen sich Menschen aus der Türkei oder mit türkischen Wurzeln, nämlich 72 Prozent der Befragten. Dies passt zu den immer häufigeren Klagen von Muslimen und Muslimverbänden in Europa, ihre Religion nicht frei ausüben zu können. Inwiefern sie diese nicht frei ausüben können, wurde nicht im Detail ausgeführt.

Antikes Christentum

Nun kann man diese Frage auch umgekehrt betrachten: Wie sieht es mit der Religionsfreiheit in den Herkunftsländern der Betreffenden aus?

Da ist etwa die Türkei, das Herkunftsland der Mehrheit der Muslime in Österreich und in Deutschland. Vor bald 1700 Jahren, 325 n.Chr., fand in Nicäa (Iznik) in der heutigen Türkei ein wichtiges Konzil des Christentumswichtiges Konzil des Christentums statt, das Auswirkungen bis heute zeitigt. Das Bekenntnis von Nicäa wurde zum einzigen verbindlichen Glaubensbekenntnis, auf das sich alle christlichen Konfessionen verständigen können.

Vom lebendigen christlichen Leben in dieser Region ist jedoch heute nicht mehr viel übriggeblieben, außer einigen Ruinen.

Die Hagia Sophia, die im 6. Jahrhundert als christliche Kirche in Nicäa erbaut wurde, wurde vom türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk in ein Museum umgewandelt. Doch unter dem aktuellen Präsidenten, Recep Tayipp Erdogan, wurde sie trotz heftigen Widerstands des ökumenischen Patriarchats und anderer christlicher Repräsentanten, in eine Moschee umgewandelt und ein Minarett daneben erbaut. Auch die weltberühmte Hagia Sophia in Istanbul und die Chora-Kirche mit ihren bedeutenden byzantinischen Ausstattungen wurden 2020 auf Anordnung Erdogans zu Moscheen umgewandelt. Die christlichen Fresken und Mosaike wurden überdeckt. Für Christen sind diese Bauwerke seither nicht mehr zu betreten.

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Chora-Kirche in Istanbul 2013 vor der Umwandlung. © CommonsWikimedia.

Die Geschichte dieser Kirchen ist repräsentativ für das Schicksal der Christen und des Christentums in dieser Region.

Christen machen in der Türkei, einst eine Wiege des Christentums, heute nur mehr etwa 170.000 Christen, umgerechnet 0,2 Prozent der Bevölkerung aus. Fast 99 Prozent sind Muslime, wobei etwa ein Drittel davon Aleviten sind. Vor allem Kurden sind Aleviten, werden nicht als Muslime anerkannt und sind ebenfalls vielfachen Verfolgungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Die Türkei ist laut Verfassung zwar nach wie vor ein säkularer Staat mit Trennung von Religion und Staat. In der Praxis ist dies seit Erdogan nicht mehr so. Und in der Verfassung steht auch, das „Türkentum“ solle bevorzugt werden, was de facto mit dem muslimischen Glauben verbunden ist. Die staatliche Religionsbehörde Diyanet hat alles in der Hand, ihre Macht erstreckt sich bis nach Europa. Andere Religionsgemeinschaften außer den Muslimen existieren offiziell gar nicht, denn sie sind nicht staatlich anerkannt.

Messe mit Polizei

Dies bedeutet, dass sie somit auch keinerlei Rechte haben, wie etwa die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte kritisiert. Es gibt in den Schulen ausschließlich muslimischen Religionsunterricht. Die christlichen Kirchen haben keinen Rechtsstatus, sie dürfen nichts besitzen, dürfen nichts unternehmen ohne staatliche Zustimmung. Dies geht so weit, dass sogar die Feier christlicher Gottesdienste und Messfeiern bei der staatlichen Behörde angemeldet werden muss und ausschließlich unter Polizei-Aufsicht stattfinden darf. 

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Türkische Christen bei einer Taufe 2022. © CommonsWikimedia.

Dies hat neben der Überwachung auch den Effekt, dass somit gewaltsame Übergriffe auf die christlichen Gläubigen verhindert werden. Denn es ist nicht angeraten, christliche Symbole offen zu zeigen oder als Priester mit Priesterkragen erkenntlich zu sein. Es gibt immer wieder gewaltsame Attacken, Hass und Brandanschläge auf Kirchen. Die wenigen Kirchen, die es in der Türkei noch gibt, sind meist von außen als solche nicht zu erkennen, befinden sich oft in Hinterhöfen. Neue Kirchen dürfen nicht erbaut werden, viele ehemalige Kirchen und andere Besitztümer wurden vom türkischen Staat enteignet.

Viele Diskriminierungen

Jene, die sich zum Christentum bekennen, erleiden eine Vielzahl von Diskriminierungen. Das Religionsbekenntnis ist in den amtlichen Dokumenten und im Personalausweis vermerkt, Diskriminierungen daher leicht möglich. Christen haben nur begrenzt Zugang zum Arbeitsmarkt, vor allem im öffentlichen Sektor haben sie kaum eine Chance auf einen Job. Aber auch in der Privatwirtschaft werden sie diskriminiert, wenn der Arbeitgeber Verbindungen zu Regierungsstellen unterhält.

Am schlimmsten ist es für Konvertiten, Abfall vom Islam ist streng verboten. Diese Menschen werden von ihren Familien und anderen stark unter Druck gesetzt, wieder zum Islam zurückzukehren. Dies kann Folgen haben bis hin zu Scheidung und Verlust des Erbrechts. Dies führte dazu, dass es viele Geheimchristen gibt, etwa die Nachfahren der christlichen Armenier. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden bekanntlich die mehrheitlich christlichen Armenier massenhaft ermordet und vertrieben. In der Forschung wird die Zahl mit bis zu 1,5 Millionen Opfern angegeben, ein echter Genozid. Diese Tatsache wurde Jahrzehnte lang von der Türkei geleugnet und auch heute noch ist es ein heikles Thema.

Landesverweise

Türkische Christen, die sich engagieren oder gar missionieren, werden mitunter mitsamt ihren Familien ausgewiesen oder dürfen nicht mehr einreisen. Wer kein Muslim ist, wird nicht als guter Türke angesehen. Aus dem Ausland stammende Pastoren oder Priester gelten als Sicherheitsrisiko, werden vom Geheimdienst überwacht und nach Auslandsreisen oft nicht mehr ins Land gelassen.

Die Türkei ist Mitglied des Europarats und hat die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Darin enthalten ist auch die Gewährung der Religionsfreiheit. In der Praxis findet diese aber nachweislich nicht statt, weswegen die türkische Regierung bereits mehrfach gemahnt wurde. Offenbar ohne Erfolg.

Zum Weiterlesen:

Missio Länderbericht 006 Türkei

Christ in der Gegenwart, 2/2018.

Gudula Walterskirchen

Herausgeberin Libratus

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