
Wi(e)der die journalistische Einordnung!
Mit Sprache werden Dinge ausgedrückt. Dabei kann auch zum Ausdruck kommen, welch Geistes Kind jemand ist und welcher Zeitgeist wiederum gerade prägt. Hier gibt es Modebegriffe. Die „Einordnung“ ist ein solcher. Sie hat die journalistische „Analyse“ ersetzt. Das ist kein Zufall.
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„Und nun hören Sie unsere Reporterin XY, die die Sache für uns einordnet“. Sätze wie diese finden sich derzeit zuhauf in Medien. Und das in Österreich ebenso wie in Deutschland. Sie werden geschrieben, über den Äther geschickt, terrestrisch, via Kabel, Satellit oder digital in die Welt gesandt. Die Technik ist dabei nebensächlich. Auf die Botschaft kommt es an.
Hieß es vor nicht allzu langer Zeit meist noch: „Und nun ein Bericht unserer Reporterin XY“, oder „Eine Analyse von Experten YX“, scheint jetzt die tückischste aller Journalistenkrankheiten auf dem Vormarsch zu sein: zu denken, nur weil man über alles berichtet, wüsste man auch über alles Bescheid. Dieses geistige Leiden grassiert schon lange, das Gefahrenpotential ist nichts Neues. Und doch nimmt es momentan wieder überhand. Das soll nicht bedeuten, dass alle Journalistinnen und Journalisten davon befallen sind und auch nicht, dass es sämtliche Medien betrifft. Simple Pauschalisierungen bringen hier ebenso wenig. Sie sind vielmehr ein Symptom der Besserwisseritis.
Nicht gemein machen
„Mach dich nie mit einer Sache gemein – auch nicht mit einer guten“. Dieses Zitat wird oft dem deutschen Journalisten Hanns Joachim Friedrichs zugeschrieben. Dabei wurde der Satz, der in den 1990er Jahren kurz vor seinem Tod gefallen ist, missinterpretiert. Friedrichs hat sich selbst immer wieder mit Sachen gemein gemacht, sicher mit solchen, die er für gut befand. Der „Tagesthemen“-Moderator war Mitglied und teils auch Wahlkämpfer für die SPD. Journalistische Distanz sieht anders aus.
Das Zitat kann dennoch als Leitbild dienen. Als Wissenschaftsjournalistin würde ich das Wörtchen „mutmaßlich“ vor dem „gut“ platzieren. Denn die Fakten von heute können sich als die Fehler von morgen erweisen. So funktioniert Wissenschaft. Die Falsifizierung ist dieser genauso inhärent wie die Verifizierung. Dieses Prinzip sollte auch für den Journalismus gelten, sofern er sich seiner Rolle als Vierte Säule in einer aufgeklärt-liberalen Demokratie verpflichtet fühlt.
Und doch scheinen derzeit andere „Haltungen“ um sich zu greifen. Ganz so, als wäre Journalismus das Vorexerzieren turnerischer Übungen, um anschließend Applaus für die aufrechteste aller Haltungen zu ernten. Wo aber bleibt der behutsame Balanceakt?
Einordung statt Bericht
Gleich ob Klimawandel, Ukrainekrieg, Nahostkonflikt, die Aufrüstung Europas, die Präsidentschaft Donald Trumps, die Wahlen in Rumänien oder geplante Milliardeninvestitionen – die je nach journalistischem Geschmack als „Konjunkturpaket“ oder „Schuldenfalle“ bezeichnet werden – überall wird eingeordnet, immer seltener berichtet und noch viel seltener analysiert.
Schlägt man im Duden unter „einordnen“ nach, so finden sich zwei Bedeutungen. Erstens: etwas in eine bestimmte Ordnung, es an eine vorgesehene Stelle bringen. Zweitens: sich in eine vorhandene Ordnung einfügen, sich ihr anpassen. Als Beispiel bringt das Wörterbuch der deutschen Sprache den Satz: „Es fällt ihm schwer, sich (in die Gemeinschaft) einzuordnen.“
Was passiert nun aber, wenn die Gemeinschaft bei einem Thema irrt? Die Aufgabe eines Journalisten ist es nicht, von einer Mehrheit gemocht, oder von einer Blase geliked zu werden. Journalisten sind Seismographen für sinnvolle Trends genauso wie für Fehlentwicklungen.
Komplexe Themen haben es an sich, kompliziert zu sein. Dabei muss gar nichts unkorrekt wiedergegeben oder gar gelogen werden, wie es den Medien in genauso vereinfachender Manier mancherseits unterstellt wird. Das braucht es gar nicht, um bedenklich zu werden. Ein falsches Bild entsteht nicht nur durch fehlerhafte Inhalte. Wenn fortlaufend bestimmte Facetten weggelassen, wenn gewisse Fragen bewusst ausgespart werden, dann verzerrt sich der Faktenstand und irgendwann hängt das gesamte Erkenntnis-Bild schief.
Was darf gesagt werden?
Die „Einordnung“ betrifft keineswegs nur den Journalismus. Als Journalistin habe ich selbst erlebt, dass Experten mir vorschreiben wollten, wen ich neben ihnen zu interviewen und demnach, wie ich ein Thema einzuordnen hätte. Zugegebenermaßen bildet das aber die Ausnahme. Der Großteil der Wissenschaftswelt hält den Diskurs weiter hoch.Was ich in den vergangenen Jahren viel öfter beobachtet habe, war, dass Journalisten plötzlich begannen den Experten vorzugeben, was gesagt werden durfte und was nicht. Gewisse fachliche Einschätzungen passten nicht in die journalistische Einordnung. Gezeigt hat sich das vor allem bei einem Thema: Corona. Dieses wurde politisiert – besonders in Österreich und Deutschland.
Auch in der Politik wird ganz generell und bei vielen Themen eingeordnet, was das Zeug hält. Für langfristige Konzepte – die Veränderungen erfordern, die auch unbeliebt sein können – gibt es keine Lorbeeren, schon gar nicht solche, die sich innerhalb einer Legislaturperiode ernten lassen.
Unliebsames versenkt
Und nicht zuletzt regiert auch auf den digitalen Plattformen die Einordnung. Und zwar sowohl durch die Nutzerinnen und Nutzer als auch durch die Algorithmen, die wiederum ihrerseits Parallelwelten wenn nicht schon eigens kreieren, dann zumindest verstärken. Dabei werden auch bestimmte Triggerworte „eingeordnet“ oder unliebsame Kommentare gleich ganz in der Schublade versenkt, versiegelt und aus den Augen der Öffentlichkeit verbannt. Blasen können verhärten und zu Käfigen werden. Das führt bei einigen Menschen dazu, dass sie gar nicht mehr mit Andersdenkenden sprechen wollen. Andere meinen wieder, nur mehr bestimmte Personen dürften sich zu bestimmten Themen äußern. Am Ende findet sich dann der größte Individualist feinsäuberlich in eine Schublade sortiert.
Die Inflation der „Einordnung“ kostet Vertrauen. Das aber ist das höchste Gut im Journalismus, die härteste Währung in der Politik und die Basis einer jeden liberalen Demokratie. Komplexe Herausforderungen erfordern weitsichtiges Denken. Sie benötigen neutrale Berichte und tiefgründige Analysen aus sämtlichen Blickwinkeln. Sie brauchen keine Einordnung in Schubladen.♦
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